. . Thomas Hettches Roman „Pfaueninsel“ schildert das Schicksal einer Zwergin auf dem Eiland in der Havel, das sich die preußischen Könige als Lust-und-Laune-Ort möblierten. Auch der Zeitgeist hielt Einzug in der abgeschirmten Welt und machte Maria Dorothea Strakon mehr und mehr zur unerwünschten Außenseiterin.
Keine Frage: Thomas Hettches „Pfaueninsel“ hätte den Deutschen Buchpreis genauso verdient gehabt wie Lutz Seilers „Kruso“, doch im 25. Jahr der deutschen Einheit führte an dem Roman aus der späten DDR wohl kein Weg vorbei.
Die „Pfaueninsel“ beginnt wie eine Geschichte von E.T.A. Hoffmann: Die kleinwüchsige Maria Dorothea Strakon, genannt Marie, kommt im Alter von sechs Jahren mit ihrem Bruder Christian auf die Pfaueninsel in der Havel bei Potsdam, der preußische König hat Gefallen an den Waisenkindern gefunden. In der mehr oder minder verwunschenen Welt der Pfaueninsel, einem Lust-und-Laune-Ort des Hofstaats, wird den Kindern erst allmählich klar, dass sie anders als die anderen sind – Zwerge oder Däumlinge, wie die anderen sagen, bestenfalls. Einmal aber fällt ein Wort, das Marie für ihr Leben schockiert: „Monster!“ Davon wird sie sich auch durch Gustav nicht mehr erholen, den Neffen des Hofgärtners, der sie liebt, den sie liebt, hoffnungslos beide.
Maries Bruder sucht Nacht für Nacht den Wald, er flieht in die Rolle des skurrilen Außenseiters. Marie aber, gefüttert mit Literatur und Konversationstechnik, wird zur originellen Hofdame, die hin und wieder auch abseitige Bedürfnisse des Königs zu erfüllen hat.
Entscheidend für den Roman aber ist, dass er Marie zu einer Jahrhundert-Figur macht, an deren Augen im heraufdämmernden Industriezeitalter die unablässige Technisierung, Rationalisierung, ja uniforme Zurichtung der Alltagswelt voranschreitet und Fremdheit bei jenen erzeugt, die sich nicht anpassen. Manchmal streift die Zeit gewaltig im Sauseschritt vorbei, aber das ist ja ebenfalls eine Eigenschaft des Industriezeitalters, die bis heute anhält: seine unablässige Beschleunigung. Der Schluss gehört einem gewaltigen Flammeninferno im Palmenhaus der Pfaueninsel, das es 1880 tatsächlich gab, dessen Ursache der Erzähler, anders als die Zeitgenossen, in der illustren, aber tragischen Lebensgeschichte der Maria Dorothea Strakon ansiedelt.