Essen. Der Film „Anonyma” von Max Färberböck erzählt von den physischen und psychischen Übergriffen durch sowjetische Besatzer, denen Frauen in den ersten Nachkriegsmonaten ausgesetzt waren.

Deutschland berauscht sich 1959 am Wirtschaftswunder. Man ist wieder wer. Der Krieg, gerade 14 Jahre vorbei, wird im Kino und in Romanen bevorzugt als Geschichte aufrechter Wehrmachtsoffiziere und -soldaten erzählt, die den Unbillen einer fehlgeleiteten Führung tapfer trotzen. Und dann erscheint dieses Buch, in dem eine Frau ihre Tagebuchnotizen aus der Zeit der unmittelbaren Nachkriegsmonate im sowjetisch besetzten Berlin der Öffentlichkeit preisgibt. Die Autorin hält ihren Namen geheim, ihre Gedanken und Gefühle hingegen nicht.

In präziser, nüchterner Sprache erzählt sie von einem verstörenden zivilen Überlebenskampf angesichts physischer und psychischer Übergriffe durch Soldaten der Roten Armee. Im Klima der Adenauer-Ära weckt diese ungeschminkte Darstellung ungeliebte Erinnerungen und löst eine Welle der Empörung aus.

In einem halben Jahrhundert nur einmal aufgegriffen

Anonyma - Eine Frau in Berlin

Deutscher Filmstart: 23. Oktober 2008

Regie: Max Färberböck

Darsteller: Nina Hoss, Evgeny Sidikhin, Irm Hermann, Rüdiger Vogler, Ulrike Krumbiegel u.a.

Trailer

Bilder zum Film

Fast ein halbes Jahrhundert ist seither vergangen, und außer dem Dokumentarfilm „BeFreier und BeFreite – Krieg – Vergewaltigungen – Kinder" (1992) von Helke Sander ist das Thema noch nicht filmisch aufgegriffen worden.

Für Erfolgsproduzent Günter Rohrbach („Das Boot”) ein Unding, da in den unmittelbaren Nachkriegstagen über eine Million Frauen dem Schrecken plündernder und vergewaltigenden Besatzertruppen ausgesetzt war. Für Buch und Regie tat Rohrbach sich mit Max Färberböck zusammen; beide hatten 1999 bereits mit „Aimée und Jaguar” Frauenschicksale in Kriegszeiten aufgearbeitet.

Mit entschlossenem Blick

Anonyma (Nina Hoss) in den Trümmern der Stadt. © 2008 Constantin Film
Anonyma (Nina Hoss) in den Trümmern der Stadt. © 2008 Constantin Film

„Anonyma” keilt eine in ähnliche Kerbe, indem zunächst der Schauplatz Berlin in den letzten Kriegstagen mit einem effektbetonten Fliegerangriff eingeführt wird. Im Keller eines Mietshauses kommen grundverschiedene Menschen zusammen, darunter auch eine junge, attraktive Frau, die fortan im Zentrum des Geschehens stehen wird.

Nina Hoss spielt diese Journalistin und Fotografin mit entschlossenem Blick und lässt keinen Zweifel, dass sie allen Lagen trotzen wird, die da noch kommen werden.

Nach ersten körperlichen Übergriffen durch Soldaten sucht sie den Kontakt zum Offizierskorps und findet in dem Obersten Andrej einen Beschützer. Das melancholische Gemüt des Russen, aber auch seine Verlässlichkeit bleiben nicht ohne Folgen: Anonyma verliebt sich. Kollaboration aber ist riskant für beide, zumal auch die anderen Hausbewohner sich mit den Besatzern zu arrangieren versuchen.

Zwischenmenschliches ist wichtiger als tolle Kulissen

Anonyma (Nina Hoss) und Andrej (Evgeny Sidikhin). © 2008 Constantin Film
Anonyma (Nina Hoss) und Andrej (Evgeny Sidikhin). © 2008 Constantin Film

Ein Straßenzug, vier Wohnungen, ein Keller, ein Speicher – das Angebot der Schauplätze in diesem 12,5 Mio. Euro teuren Film ist überschaubar und kann nur selten den Charakter des Kulissenhaften vergessen machen. Färberböck ist eben kein Regisseur für überbordenden Kintopp; sein Interesse gilt dem Zwischenmenschlichen und entsprechender Schauspielerführung. Seltsamerweise aber findet der Film gerade hier kaum zu Dichte und Eindringlichkeit. Wie aufgestellt wirken die Szenen, Dialogsätze klingen papiernen, sind vorgetragen wie auswendig gelernt.

Das verblüfft angesichts der Besetzung. Nina Hoss müht sich redlich, die existenzielle Not auszugestalten, der russische Ko-Star Jewgeni Sidikhin ist ein prachtvoller Akteur, ausdruckstark auch in den leisen Tönen. In Nebenrollen tummelt sich Prominenz von Irm Hermann und Rüdiger Vogler über Ulrike Krumbiegel bis zu Jördis Triebel, Sandra Hüller und August Diehl. Doch sie alle können der bruchstückhaften Erzählung und dem holpernden Schnitt nicht erfolgreich begegnen.

Die Kinofassung ist gekürzt - und oft Stückwerk

Wie ist das möglich? Nun – Günter Rohrbach hat einmal mehr sein Konzept des „Amphibienfilms” (produziert für Kino und Fernsehen) beherzigt. Gedreht wurde „Anonyma” auf eine Länge von rund drei Stunden; fürs Kino wurde eine zweistündige Fassung destilliert.

Ein Verlust von rund 33 Prozent aber muss sich auswirken auf die Szenenfolgen; es ist kein Zufall, wenn Figuren zwar sorgfältig eingeführt werden, dann aber nur noch sporadisch auftauchen. Dramatische Entwicklungen bleiben damit Stückwerk, es vermittelt sich nicht einmal der erzählerische Zeitraum, den der Film aufspannt. Es waren wohl nur wenige Tage, von Ende April bis Anfang Mai 1945, doch auf der Leinwand entfalten sich gefühlte Wochen und Monate.

Es ist gut denkbar, dass die lange „Anonyma”-Fassung kraftvoll, kompakt und letztlich sogar kurzweilig daherkommt. Auf den Kinofilm trifft das alles nicht zu.