Die Dokumentation “The Unknown Known“ des Oscar-Preisträgers Errol Morris sticht aus den üblichen Kino-Dokus hervor: Er traf den ehemaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld für längere Gespräche - entlarvende Widersprüche zum Irakkrieg inklusive.

Ist das nun Ignoranz oder schlichtweg Einfallsarmut, dass US-Filme immer häufiger auch dann mit dem Originaltitel in den Kinos platziert werden, wenn der Titel ein spitzfindiger Zungenbrecher ist? „The Unknown Known“, das ist beileibe kein kundenfreundlicher Titel, der Film dazu jedoch ist ein dokumentarisches Kinoerlebnis allererster Güteklasse. Was aber hat es nun mit diesem seltsamen Titel auf sich?

Man stelle sich vor, der Chef schickt eine Mail an die Belegschaft. Im Betreff steht: Was man weiß. Und dann folgt dieser Text: Es gibt das bekannte Bekannte; es gibt das bekannte Unbekannte; es gibt das unbekannte Unbekannte; es gibt aber auch das unbekannte Bekannte; also Dinge, von denen man denkt, dass man sie weiß, und dann stellt sich heraus, dass dem nicht so ist. Es ist wohl nicht verkehrt, bei einem solchen Chef die Sinne zu schärfen. Denn im Pentagon wurde am 4. Februar 2004 tatsächlich diese hausinterne Meldung verschickt. Der Chef hieß Donald Rumsfeld.

Das „Alte Europa“

Acht Jahre später sitzt Rumsfeld Amerikas bedeutendstem Dokumentarfilmer unserer Zeit gegenüber. Errol Morris hat Rumsfeld als Zeitzeugen vor die Kameras geladen, wie er es schon 2003 für seinen später Oscar-prämierten Film „The Fog of War“ mit Robert McNamara gemacht hatte. Ein Elder Statesman plaudert aus dem Nähkästchen der Zeitgeschichte, zeigt Zusammenhänge auf, nutzt Perspektiven, die eben nur ein unmittelbar Beteiligter kennen und beurteilen kann. Kennedys Außenminister, später auch Weltbankchef, konnte sich ins leicht präsentieren; McNamara war etablierte Lichtgestalt.

Aber Donald Rumsfeld ist der Mann, der den Weg für den zweiten Irakkrieg planierte, Folter als Verhörmethode empfahl, Frankreich und Deutschland als „Altes Europa“ verhöhnte und den Posten erst räumte, als gar nichts mehr zu halten war. Nicht von ungefähr zeigt das deutsche Filmplakat Rumsfelds schmallippiges Grinsen und setzt plakativ darunter: Warum lächelt dieser Mann? Das herauszufinden ist trotz Originaltons mit deutscher Untertitelung eine spannende, faszinierende Geschichtsstunde, die den Kinobesuch unbedingt lohnt.

Donald Rumsfeld - geprägt vom Ideal präziser Planung

Errol Morris ist eben kein Filmemacher für den geringen Widerstand. Er bietet Rumsfeld die gleiche Chance wie McNamara. Es geht chronologisch durch die Karriere, der rote Faden ist es, dass Rumsfeld Zeit seiner politischen Laufbahn (auch schon unter Richard Nixon und Gerald Ford) Memoranden verfasste. Morris bietet zur Illustration stets passend gewählte Schlagzeilen, Fotos und Nachrichtenbeiträge und ansonsten Rumsfeld.

Wahrheit und Würde

Errol Morris setzte 1988 mit „Der Fall Randall Adams“ ein erstes Ausrufezeichen, als er einen Mordfall mit nachgestellten Szenen wieder aufrollte und den wahren Schuldigen enttarnen konnte. Es blieb die einzige kriminalistische Arbeit.

Morris drehte über Stephen Hawking („Eine kurze Geschichte der Zeit“), Schmetterlingssammler, Roboterkonstrukteure, Tierfriedhöfe, Miss Wyoming und Abu Ghraib. Und immer belässt er dem Objekt vor der Kamera seine Würde.

Der sitzt still, eingefangen von einer Kamera vorn und einer von halbrechts. Sein Blick in die Kamera ist wach, sein Blick auf die Welt ist geprägt vom Ideal präziser Planung und dem Abmarsch der US-Kräfte aus Saigon. Das durfte sich niemals wiederholen. Alles weitere Handeln ergibt sich ganz folgerichtig daraus. Fast gewinnt Rumsfeld tragische Konturen, dann wieder gewinnt der Starrsinn Oberhand. Keine Massenvernichtungswaffen im Irak? Nun: Die Nichtexistenz von Beweisen ist kein Beweis für die Nichtexistenz von etwas. Fast möchte man Rumsfeld für solche Ideenspiele die Hand schütteln, ihn zu mögen fällt dennoch schwer.

Unbestreitbar aber ist nach diesem Film, dass der Mann Mumm hat. Er ist für Morris vor die Kamera getreten. Nicht Dick Cheney, nicht Condoleezza Rice und schon gar nicht George W. Bush.

Wertung: 5 von 5 Sternen