Essen. . Nach einem Unfall 600 Kilometer über der Erde sind die Astronauten Dr. Ryan Stone (Sandra Bullock) und Matt Kowalsky (George Clooney) im Weltall auf sich allein gestellt und kämpfen ums Überleben. Der mexikanische Regisseur Alfonso Cuarón drehte das bildgewaltige Weltraumdrama „Gravity“.
Es ist der denkbar unwirtlichste Ort, an dem Dr. Ryan Stone ihrer Arbeit nachgeht. In einer Höhe von nahezu 600 Kilometern über der Erde versucht die Wissenschaftlerin, an einem Teleskop ein neues System zum Laufen zu bringen. Wie jede Arbeit in den Tiefen des Alls ist auch diese ein Wettlauf gegen die Zeit und zugleich noch ein Kampf mit dem eigenen Körper, und den scheint sie zu verlieren. Aber trotz der Schwindelattacken und der Übelkeit gibt sie nicht auf. Es ist ihr Projekt, und dafür nimmt sie alles in Kauf.
Doch vorerst herrscht eine gelöste – beinahe ist man versucht zu sagen schwebende – Atmosphäre. Während die von Sandra Bullock gespielte Wissenschaftlerin alles daransetzt, ihre Arbeit zu vollenden, zieht der erfahrene Astronaut Matt Kowalsky (George Clooney) in seinem Raumanzug Bahnen und Kreise um die Weltraumstation. Er genießt die Leere und das Unwirtliche des Alls. Schließlich bedeuten sie zugleich auch eine seltene, alle Gefahren aufwiegende Freiheit.
Freiheit der Schwerelosigkeit
Eben diese Freiheit der Schwerelosigkeit feiern auch Alfonso Cuarón und sein Kameramann Emmanuel Lubezki. Als sei sie tatsächlich schwerelos, dreht die Kamera ihre berauschenden Pirouetten um die Astronauten und die Raumstation. Sie ist ständig in Bewegung, wird immer wieder von Dr. Stone und Kowalsky angezogen, um sich dann umgehend zurück ins Dunkel fallen zu lassen.
Nur selten hat die neue 3D-Technik bisher eine solche Wirkung entfaltet wie in diesen ersten Minuten von „Gravity“. Der Raum um die Astronauten und ihre temporäre Heimat scheint sich regelrecht zu öffnen und verweist ins Unendliche oder eben auf die 600 Kilometer entfernte Erde. Aus dieser enormen und – gemessen an den Ausmaßen des Alls – doch wieder winzigen Distanz betrachtet, leuchtet sie in den schönsten Blautönen. Strahlendes Sonnenlicht fängt sich in ihren Meeren und Ebenen, ihren Strömen und Gebirgen.
Auf Fotos und auch in Filmen war die Erde schon so zu sehen. Doch die mal tänzelnde, mal taumelnde Kamera verleiht ihr einen magischen Glanz, eine erhabene Schönheit, die zugleich auch den Menschen und seine Anstrengungen in ein anderes, alles verwandelndes Licht stellt.
Wer sich je gefragt hat, warum es die Menschheit trotz aller Widrigkeiten und aller Tragödien doch immer von neuem ins All und seine Weiten zieht, bekommt in diesem traumhaften Minuten eine überwältigende Antwort. Natürlich ist jeder Flug in den Weltraum Hybris und zugleich eine besonders verwegene Art, Russisch Roulette zu spielen. Aber er legt eben auch Zeugnis von der Größe des menschlichen Strebens ab.
Satellit löst Kettenreaktion aus
Während Dr. Stone und Kowalsky draußen im Weltraum arbeiten, kommt es zu einem Zwischenfall. Die Russen haben einen ihrer inaktiven Satelliten gesprengt und damit eine Kettenreaktion ausgelöst, so dass nun ein Schauer aus Trümmerteilen durch das All rast und schließlich auf die Raumstation und das amerikanische Space Shuttle trifft. Die beiden sind die einzigen Überlebenden, gestrandet in der schwarzen Leere ohne Kontakt zur Erde.
Das Gefühl der Freiheit, der Größe und des Erhabenen weicht nach der Katastrophe der Erkenntnis, verloren und allein zu sein. Je mehr die Wissenschaftlerin und der Astronaut für ihre Rettung kämpfen, desto auswegloser erweist sich ihre Situation. Die Einsamkeit ist unermesslich, in den Bildern wie auch in Sandra Bullocks und George Clooneys Spiel. Ihre darstellerischen Möglichkeiten sind über weite Strecken durch die Raumanzüge extrem eingeschränkt. Meist können sie nur mit ihren Augen und ihrer Stimme arbeiten. Dennoch gelingen ihnen ungeheuer intensive Porträts zweier Menschen, die auf ihre jeweils eigene Weise über sich hinauswachsen.
Die oft unterschätzte und meist auch unterforderte Sandra Bullock stellt hier erstmals ihre ganze Wandlungsfähigkeit unter Beweis. Letztlich spielt sie in diesem gerade einmal 90-minütigen Film ein ganzes Leben durch und erschafft ihre Figur noch einmal neu. Untergang und Neubeginn sind eins. Der Kreislauf menschlichen Strebens ist so unendlich wie das All; und eben daraus erwächst die Hoffnung, die Cuarón zu Beginn visuell schon beschworen hat.
Wertung: 4 von 5 Sternen