„Der Vorleser” nach dem Buch von Bernhard Schlink mit der oscarprämierten Kate Winslet in der Hauptrolle erweckt wenig Anteilnahme. Wo der Roman über die Vorstellungskraft fesselt, bleibt der Film in seiner konkreten Darstellung akademisch kalt.
Essen. „Der Vorleser” nach dem Buch von Bernhard Schlink mit der oscarprämierten Kate Winslet in der Hauptrolle erweckt wenig Anteilnahme. Wo der Roman über die Vorstellungskraft fesselt, bleibt der Film in seiner konkreten Darstellung akademisch kalt.
Der Vorleser
Deutscher Kinostart: 26.02.2009
Regie: Stephen Daldry
Darsteller: Kate Winslet, Ralph Fiennes, David Kross, Lena Olin, Bruno Ganz, Hannah Herzsprung u.a.
Der 15-jährige Michael erlebt 1959 einen aufregenden Sommer: Er genießt die erste Liebe. Seine Partnerin ist eine junge Frau, aber alt genug, dass sie seine Mutter könnte. Bei einem Unwetter hat sie ihm ge-holfen, zum Dank hat er ihr Blumen gebracht und einen Blick auf ihren Körper erhascht; das lässt ihn nicht los.
Immer wieder zieht es ihn zu Hanna. Es wird zum Ritual, dass sie erst ein Bad teilen, dann liest Michael der Analphabetin vor, dann lieben sie sich. Eines Tages ist Hanna verschwunden, doch Michael trifft sie wieder, sieben Jahre später, im Gerichtssaal. Hanna ist als Kriegsverbrecherin angeklagt.
15 Jahre hat es gedauert, bis Bernhard Schlinks mehrfach ausgezeichneter Roman „Der Vorleser” fürs Kino aufbereitet wurde. Aber nicht der Ruch von Skandal (erotische Liebe zwischen einem Jungen und einer älteren Frau) oder gesellschaftlichem Reizthema (die Verdrängung von NS-Verbrechen) sorgte hierzulande für Aufsehen, sondern der Umstand, dass ein Gutteil der Dreharbeiten mit den Stars Kate Winslet und Ralph Fiennes in NRW bestritten wurde. Fördergelder in Millionenhöhe und die Beteiligung deutscher Schauspieler und Techniker führten dazu, dass der „Vorleser” als weiterer Meilenstein deutschen Filmschaffens bezeichnet wurde.
Als Film ist „Der Vorleser” eher zäh
Deutsche Filmstudios sind für ihre Professionalität bekannt und dank Subventionsgeldern auch für Hollywood-Produktionen interessant. Das erkannten die inzwischen verstorbenen Filmemacher Sydney Pollack und Anthony Minghella. Mit Regisseur Stephen Daldry und Drehbuchautor David Hare beriefen sie bewährte Kreativkräfte in die Schlüsselpositionen. So ist der Film eine internationale Produktion angelsächsischer Herkunft; auf ihre Weise so deutsch wie vor einigen Jahren „Die fabelhafte Welt der Amelie”. Das Geld ist von hier, die Akzente kommen von außen.
Als Film ist „Der Vorleser” eher zäh, die Erzählstruktur komplex und kompliziert. Immerhin erstreckt sich die Handlung über knapp vier Jahrzehnte. Die Affäre umfasst im Roman nur das erste Drittel, im Film sind die Handlungsebenen verschachtelt und bauen damit ein Geheimnis auf, das Spannung vor allem für jene schürt, die das Buch nicht gelesen haben.
Kate Winslet ist das Herz des Films, auch wenn sie nicht in jeder Szene zu sehen ist. Ihre Darstellung der ehemaligen KZ-Aufseherin Hanna erfüllt sich in bedeutungsvoll verstockten Blicken und dem Mut, sich vor der Kamera zu entblößen. Eine emotionale Nähe zu dieser Figur, Anteilnahme aber mag sich kaum einstellen. Hanna bleibt bis zuletzt ein Mysterium.
Von der Frau fasziniert, von ihren Taten abgestoßen
Es hat der Geschichte manche Kritik durch jüdische Intellektuelle eingebracht, dass es hier um eine Frau geht, die sich mehr dafür schämt, dass sie nicht lesen und schreiben kann, als dass sie 300 Juden auf dem Gewissen hat. Der Film tut sich schwer, solche Vorwürfe zu entkräften.
Die Rolle des Michael, verkörpert in jungen Jahren durch David Kross, als erwachsener Mann durch Ralph Fiennes, bietet als Bindeglied keine wesentliche Hilfe. Von der Frau fasziniert, von ihren Taten abgestoßen, zuletzt zur Vergebung bereit, bleibt Michael letztlich so unentschlossen wie der ganze Film.
Man weiß um die Bedeutung der Geschichte, aber man betrachtet sie eher teilnahmslos. „Der Vorleser” als Buch fesselt über die Vorstellungskraft. Der Film in seiner konkreten Darstellung bleibt akademisch kalt.