Dortmund. . Es gibt noch nicht viele Höhepunkte im Kinojahr 2013. Und jetzt kommt ausgerechnet eine Außenseiterin wie Sally Potter daher und liefert mit „Ginger und Rosa“ das eindringliche Porträt einer Mädchenfreundschaft zur Zeit der Kuba-Krise. Ein Juwel, wenn man so will.

Wenn zu Anfang eines Films eine Atombombe explodiert, dann erwartet man danach entweder eine Dokumentation oder aber einen dieser Endzeitfilme um eine Menschheit im Taumel des Untergangs. In Sally Potters Film „Ginger und Rosa“ aber, der heute Abend das Frauenfilmfestival in Dortmund eröffnet (und ab Donnerstag im Kino läuft) steht die Hiroshima-Bombe tatsächlich für einen Anfang: Zwei Frauen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten gebären an diesem 6. August 1945, dem Tag totaler Vernichtung, im gleichen Krankenhaus in London fast gleichzeitig jede eine Tochter.

Beschwingt im stickigen London

Zwischen den beiden jungen Müttern entsteht dadurch ein Band der Freundschaft, weit mehr aber noch zwischen den beiden Kindern. Ginger (Elle Fanning) und Rosa (Alice Englert) gelten als unzertrennlich, Kindheit und Jugend erleben sie in enger Vertrautheit. In knappen Momentaufnahmen zeigt uns die Regisseurin die beiden Mädchen beim gemeinsamen Rauchen, bei der ersten Annäherung an Jungs oder beim Ausharren in der gefüllten Badewanne, um die Jeans am Körper einlaufen zu lassen. In diesen Szenen spürt man eine derartige Beschwingtheit, als sei die stickige gesellschaftliche Atmosphäre in diesem London der frühen 60-er Jahre für Ginger und Rosa einfach nicht existent. Und das, obwohl „Swingin‘ London“ noch weit entfernt ist.

Eindringlicher Entwicklungsprozess

Bisher galt Sally Potter (63) als eine Filmemacherin, deren Arbeiten immer etwas von Konzeptkunst anhaftete. In „Orlando“ besetzte sie Frauen- und Männerrollen mit dem jeweils anderen Geschlecht, um das Androgyne der Figuren zu unterstreichen. „Yes“ erzählt von der Identitätskrise einer Frau mit Dialogen in Versform. In „Rage“ schließlich wird der Mord in einem Modehaus nicht zum Krimi, sondern zu einem strengen Interview-Reigen. Eine größere Überraschung als nun „Ginger und Rosa“ kann es eigentlich nicht geben: Weit weg von allem Kunstgebaren präsentiert Potter einen Film, der uns den Entwicklungsprozess zweier Mädchen mit einer solchen Eindringlichkeit der Bildersprache, mit einer solchen Intensität der Darstellung vermittelt, dass man von einem Ereignis sprechen darf.

Erste Rissen in der Beziehung

Die Bombe, in deren Licht Ginger und Rosa geboren wurden, sie ist es schließlich auch indirekt, die für erste Risse in der Beziehung der beiden sorgt. Ginger, Tochter aus linkem Milieu, entwickelt sich durch die Kuba-Krise und die dadurch bei ihr geweckte elementare Atom-Angst zu einer politischen Aktivistin. Rosa, Tochter einer allein erziehenden Mutter, wirkt dagegen eher gestrig mit ihren Träumen von einem besseren Leben jenseits trister Sozialbauten. Der Riss wird deutlicher, als Rosa sich deshalb Gingers Vater (großartig: Alessandro Nivola) zuwendet, der seine Frau gerade verlassen will.

Ein unfassbarer Verrat

Der Moment auf Vaters Boot, da für Ginger durch eindeutige Geräusche in der Nacht dieser unfassbare Verrat an ihrer Freundschaft zur Gewissheit wird, geht in Elle Fannings Darstellung wahrlich unter die Haut.Mit welchen Mitteln die bei Drehbeginn erst 13-Jährige uns die Gefühle ihrer Figur vermittelt, wie sie ihre Blicke dabei als Subtext einsetzt, das zeugt überhaupt von einem bemerkenswerten Können. Aber auch Alice En-glert (derzeit auch als angehende Hexe in „Beautiful Creatures“ zu erleben) überrascht mit dieser Rosa, die keine Schuldgefühle zeigt, sondern nur starken Pragmatismus bei der Lebensgestaltung.

Zwei erstaunliche junge Darstellerinnen, ein erstaunlich großartiger Film.