Essen. . 1952 gewann der Norweger Thor Heyerdahl mit seinem Dokumentarfilm „Kon-Tiki“ einen Oscar. Damals war seine 100-Tage-Reise mit einem nach Inka-Art gebauten Floß noch in aller Munde. Sechs Jahrzehnte später versucht nun ein neuer Film „Kon-Tiki“ das alte Feuer wieder zu entfachen.

Wenn sich jemand aufs Meer hinaus begibt, unter seinen Füßen nur ein Floß von zweifelhafter Sicherheit und Wasser von 5000 Metern Tiefe, dann sollte er zumindest schwimmen können. Der norwegische Nationalheld Thor Heyerdahl konnte das nicht, bei ihm, so sagt man, habe die Besessenheit des Forschers alles andere einfach überlagert.

Man kann auch anders darüber denken, kann mutmaßen, dass da vielleicht gar so etwas wie Todessehnsucht in diesem Mann mit dem Habitus eines Pfadfinderführers geschlummert haben mag. Doch in solch psychologische Tiefen wagt sich „Kon-Tiki“ von Joachim Rönning und Espen Sandberg („Bandidas“) denn doch nicht vor. Hier wird vorrangig an der Installierung eines Helden gearbeitet, was aber der Faszination des Filmes keinen Abbruch tut.

Erzählungen der Eingeborenen

Heyerdahl, das war der Mann, der nach dem Zweiten Weltkrieg die Welt von seiner These überzeugen wollte, dass Polynesien vor 500 Jahren von Südamerika her besiedelt worden sei – und nicht aus Richtung Asien, wie es wissenschaftlich erwiesen schien. Bei einem längeren Aufenthalt mit seiner Frau auf der Insel FatuHuku hatte er Statuen entdeckt und den Erzählungen der Eingeborenen gelauscht, die alle diese neue These zu unterstützen schienen. Die einzige Möglichkeit, die herablassend reagierenden Experten von der Richtigkeit seiner Behauptung zu überzeugen, schien Heyerdahl allein die Konfrontation mit schlagenden Beweisen zu sein. So fasste der Nichtschwimmer den verwegenen Plan, ein Floß im alten Inka-Stil zu bauen, um sich damit den Meeresströmungen zu überlassen.

Nicht wenig Selbstüberschätzung

Der Film beginnt erst richtig zu leben, wenn das Floß in Peru zu Wasser gelassen wird und das von nicht wenig Selbstüberschätzung geprägte Unternehmen seinen Anfang nimmt. Alles hier trug den Stempel des Wahnsinns: Von den fünf Männern, die Heyerdahl mit an Bord nahm, hatte keiner ernsthafte nautische Kenntnisse. Einer hatte schon mal ein Segelboot gesteuert, einer konnte zumindest mit der Kamera umgehen. Und niemand wusste zu diesem Zeitpunkt, ob die Kon-Tiki nicht im Laufe der rund 8000 Kilometer auseinanderfallen würde. Das ewige burschikose Lächeln, das Hauptdarsteller Pål Sverre Hagen seinem Heyerdahl trotz allem verpasst, wirkt da schon fast enervierend.

Die Langeweile an Bord ist nicht spürbar

Es ist sicher nicht leicht, 101 Tage auf dem Meer zu schildern, an denen die Hauptbeschäftigung der Laien-Crew die Langeweile gewesen sein dürfte. Roenning und Sandberg schaffen es trotzdem, den Zuschauer ständig in Spannung zu halten, indem gelegentliche Vorkommnisse auf der Reise einfach komprimiert werden. Mal ist es ein Sturm, der die Ohnmacht der Männer an Bord unterstreicht. Mal sind es Hai-Attacken oder ein riesiger Wal, der unmittelbar neben der Kon-Tiki auftaucht. Dazu liefert die Kamera von Geir Hartly Andreassen wahres Augenfutter, wenn sie das Floß aus immer neuen Perspektiven zeigt, sich auch schon mal in die Lüfte schwingt, um eine Draufsicht zu liefern und dabei die große Schönheit unendlicher Meeresweite einfängt.

Blass charakterisierte Crew-Mitglieder

Konflikte zwischen den Mitgliedern der nur sehr blass charakterisierten Laien-Crew lassen sich ebenfalls nicht vermeiden, wenn sechs Männer über lange Distanz praktisch zum Nichtstun verdammt sind. Heyerdahls wirklich großer Konflikt jedoch wartet erst nach dem glücklichen Ende der Unternehmung in Tahiti auf ihn. Da erhält er einen Brief seiner Frau, die er der Kinder wegen schon lange nicht mehr an seinen Plänen teilhaben lässt und die sich deshalb nun von ihm trennen will.

Da spürt man unter dem Denkmal Heyerdahl nun plötzlich auch noch einen großen Egoisten, dem die eigene Bestätigung scheinbar über alles geht.