Als Roman ist Victor Hugos Wälzer „Die Elenden“ schon oft fürs Kino adoptiert worden. In der letzten Verfilmung traten Liam Neeson als Valjean und Geoffrey Rush als Javert gegeneinander an. Jetzt aber hat Tom Hooper („The King’s Speech“) das Musical “Les Misérables“ verfilmt – mit Erfolg.

Schon die erste Sequenz von Tom Hoopers Verfilmung des Musicals „Les Misérables“ will machtvoll demonstrieren, wie sehr man hier mit großem Kino jede Erinnerung an die Bühnenversion tilgen will. Wir befinden uns 1815 im Hafen von Toulon, wo eine Gruppe von Strafgefangenen damit beschäftigt ist, mit großer Kraftanstrengung ein Schiff in den Hafen zu ziehen. Wenn sie erwartungsgemäß zu singen beginnen, schält sich da sehr schnell die Stimme des Häftlings Jean Valjean heraus – allein deshalb, weil sein Darsteller Hugh Jackman dank reicher Bühnenerfahrung so prächtig intonieren kann.

Tragische Lebensgeschichte

Es soll Menschen geben, die gar nicht mehr wissen, dass dieser schwere Schicksalsstoff auf einem Roman von Victor Hugo basiert, der im Laufe der Filmgeschichte bereits vielfach verfilmt wurde. Doch erst das Musical von Alain Boublil und Claude-Michel Schoenberg hat Valjeans tragische Lebensgeschichte in den Köpfen der Menschen wirklich festgesetzt.

20 Jahre musste dieser Mann im Straflager schmachten, und das nur, weil er einst ein Stück Brot geraubt hat. Nun gibt ihm der Aufseher Javert (Russell Crowe) die Entlassungspapiere, konfrontiert ihn mit den Bewährungsregeln und macht kein Hehl daraus, dass er Valjean für einen Gewohnheitsverbrecher hält. Die Konfrontation dieser beiden gegensätzlichen Männer wird ein Leben lang anhalten.

Spirale aus Not und Elend

Hugos Stoffvorlage umfasst einen Zeitraum von 17 Jahren, in denen Valjean immer wieder durch Javerts Nachstellungen aus seinen bürgerlichen Bahnen gerissen wird. Man begegnet dabei tragischen Figuren wie der Arbeiterin Fantine (großartig: Anne Hathaway), die nach ihrer ungerechtfertigten Entlassung in eine tödliche Spirale aus Not und Elend gerät. Und man erlebt Zeitgeschichte bis hin zu der 1832 neu aufflammenden Revolutionsstimmung und den Barrikaden mitten in Paris.

Live singen vor der Kamera

Es ist immer ein Wagnis, ein nahezu durchgesungenes Musical wie dieses aus dem Kunstbereich Theater herauszulösen, um Spiel und Gesang ins Freie zu holen. Aber was einst bei der „West Side Story“ so wunderbar gelang, das funktioniert ganz überraschend auch hier. Mag sein, dass es nicht zuletzt auch daran liegt, dass Hooper („The King’s Speech“) die Schauspieler alle live vor der Kamera hat singen lassen. Ohne steriles Playback wirken die Töne auf diese Weise ungemein authentisch. Der Begriff „neorealistische Oper“, der hier bereits gefallen ist, scheint nicht so weit hergeholt.

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Den Höhepunkt bildet dabei zweifellos Anne Hathaways herzzerreißender Klagegesang „I Dreamed a Dream“, der ganz deutlich nur in einem einzigen Take mit Großaufnahme aufgenommen wurde. So stark ist die Figur dieser Fantine, dass ihr absehbarer Tod eine große Lücke in der Inszenierung hinterlässt.

Alle Gesangspartien übernommen

Musical-Freunde werden ihre helle Freude daran haben, dass Hooper sämtliche 49 Gesangspartien in den Film übernommen hat. „Master of the House“, das Erkennungslied eines verbrecherischen Kneipen-Pärchens, wird bei Helena Bonham Carter und Sacha Baron Cohen zu einer reinen Grotesknummer. „Can You Hear the People Sing“, die Hymne der Barrikaden-Revolutionäre, wirkt auf großer Leinwand und aus der Kehle einer riesigen Menge wie ein emotionaler Überfall.

Hooper mag in den 158 Minuten des Films alles gelungen sein. Der zeitliche Ablauf beispielsweise könnte besser strukturiert sein, um auch weniger Informierten das Verständnis zu erleichtern. Aber kein Fehler der Regie kommt an jenen heran, den sich der Verleih leistet: Obwohl nur höchst selten gesprochen wird, am Ende der deutsch untertitelten Lieder zumeist, werden genau diese Sekundenteile penibel synchronisiert. Das grenzt an Verschandelung.