Essen. Es hat einige Zeit gedauert, bis Lynne Ramsays Film „We Need to Talk About Kevin“ nun auch in unsere Kinos kommt. Das hat sicher mit der ein wenig komplizierten Erzählstruktur zu tun, aber auch mit dem Inhalt: Eine Mutter, die damit leben muss, dass ihr Kind zum Massenmörder wird, ist deprimierende Kost.

Das Geräusch des Rasensprengers. Die wehenden Gardinen. Ein allgegenwärtiges Rot, so dass man das Gefühl hat, die Bilder schwimmen im Blut. Und schließlich die Frage aller Fragen: Warum?

„We Need to Talk About Kevin“ („Wir müssen über Kevin reden“, List/Ullstein) ist der harmlose Titel eines Buches, in dem Lionel Shriver die Psyche der Mutter eines Monsters ergründet: Ihr jugendlicher Sohn wird zum Massenmörder, natürlich sucht sie nun nach den Ursachen. Die Autorin wählt als Form den Briefroman, Lynne Ramsay für ihre filmische Adaption die Rückblende. Auf diese Weise wird daraus die Chronik eines angekündigten Todes; selbst wenn lange offen bleibt, welche Ausmaße der Amoklauf annimmt.

Dialogloses erstes Drittel

Naturgemäß verhindert schon das Sujet, dass man sich bei dieser Geschichte wohlfühlt. Die Erzählstruktur würde das ohnehin nicht zulassen: Im nahezu dialoglosen ersten Drittel reiht Ramsay einen Zeitsprung an den nächsten. Rahmenhandlung ist die Gegenwart: Eva (Tilda Swinton), eine Frau mittleren Alters, schleppt sich durch ein Leben, das nicht mehr ihr gehört. Immer wieder wird sie von Visionen und Alpträumen gepeinigt; und überall ist Blut. Rückblicke werfen Schlaglichter auf Evas Ehe (John C. Reilly spielt den Gatten).

Als das Paar ein Baby bekommt, scheint das Glück perfekt, doch Söhnchen Kevin ist ein seltsames Kind. Eva vermutet Autismus, aber Ramsays Inszenierung legt nahe: Der Junge ist der Teufel. In den entsprechenden Szenen erinnert „We Need to Talk About Kevin“ an die „Omen“-Filme, in denen sich ein Diplomatensohn als Antichrist entpuppt. Die Dämonisierung des Jungen ist die große Schwäche des Films: Auf diese Weise beraubt sich Ramsay jenes Rätsels, das nahezu alle Amokläufe umgibt; schließlich zeichnen sich jugendliche Massenmörder in der Regel gerade durch eine angepasste Unauffälligkeit aus, was ihre Taten umso schockierender macht.

Zersplitterte Erzählweise

Gespielt aber ist das alles vortrefflich. Ezra Miller verleiht dem Teenager Kevin ein beängstigend bedrohliches Charisma. Und Tilda Swinton gelingt die perfekte Verkörperung einer Frau, deren Glück ausgerechnet durch die Erfüllung ihres Kinderwunsches zerbricht. Immer wieder findet Ramsay deutliche Bilder für die seelischen Zustände: die vergeblichen Versuche Evas, das Blut von den Händen zu waschen; oder die Spiegelung einer Zielscheibe in Kevins Auge.

Die mutwillig zersplitterte Erzählweise ist gewöhnungsbedürftig, zumal es eine Weile dauert, bis man in den vielen verschiedenen Zeitebenen die Orientierung gewinnt. Andererseits entspricht diese dramaturgische Fragmentierung dem zerschmetterten Dasein der Hauptfigur, die schließlich feststellen muss: Es gibt kein Leben nach dem Tod. Jedenfalls nicht für die Mutter des Mörders.