Essen. . So traurig, so faszinierend, so schonungslos: Michael Fassbender spielt einen Sexsüchtigen in Steve McQueens Psycho-Drama „Shame“.

Dieser Brandon ist die Fleisch gewordene Fassung des James Brown-Songs. Brandon ist eine amerikanische Sex Machine. Sein Körper funktioniert wie auf Stand-by, stets bereit für die nächsten Nummer. Auf dem Weg zur Arbeit taxiert er seine Nachbarin in der U-Bahn, bis die sich verstohlen die Lippen leckt. In der Firma lädt er sich Stimulanzbilder herunter, bis sein Computer konfisziert wird. Und das nackte Fleisch seiner Pornofilme verschlingt er abends so lustlos wie das Asiafood aus dem Pappkarton.

Der britische Künstler und Filmemacher Steve McQueen hat mit „Shame“ einen schonungslosen, fröstelnd machenden Film über einen Sexsüchtigen gedreht: „Shame“. Es ist ein Film über einen Mann, der im Dauerrausch der sexuellen Möglichkeiten und erotischen Versprechen das Fühlen längst verlernt hat und nur noch den Kater kennt: Das pelzige Gefühl auf der Zunge am Morgen, die Einsamkeit der Nacht mit der Hand unter der Bettdecke. Und weil das alles wenig mit Befriedigung und schon gar nicht mit Erotik zu tun hat, hat McQueen all das Rotstichige unserer Erwartungen durch ein kaltes Blaulicht ersetzt.

So wirkt Brandons Alltag in New York auf den Betrachter wie das Leben in einer Laboreinrichtung. Alles ist gläsern, kalt und transparent. Das Büro, die Wohnung, so steril, so offen, dass man gar nicht auf die Idee kommt, sich hier voyeuristisch zu betätigen.

Fassbender macht Leere in seinen Augen spürbar

Wobei „Shame“ ohnehin kein Vorwand ist, ein bisschen Gehechel auf die Tonspur zu schicken und den vorteilhaften nackten Körper von Michael Fassbender in Szene zu setzen. Der Körper ist nur Arbeitsmaterial, wie schon in „Hunger“, dem ersten gemeinsamen Film, für den sich Fassbender 2008 unter 60 Kilo hungerte, um den IRA-Aktivisten im Hungerstreik zu spielen. Auch diesmal ist der Körper nur das Medium, an dem sich das Leiden am Leben manifestiert. Er wird benutzt, ausgepumpt, buchstäblich aufgerieben, bis Brandon für einen Moment nichts mehr mehr spürt. Nicht mehr die Traurigkeit, nicht mehr die Unruhe, die ihn in die nächste Bar treibt, zum Gelegenheitssex in schmuddelige Seitenstraßen.

Die Lust- und Trostlosigkeit reiner Triebabfuhr hat im Kino immer wieder Bilder gefunden. Aber selten war die Leere so schmerzhaft spürbar, wie in den Augen von Fassbender.

Einmal tropft aus diesen Augen eine einzige Träne. Brandons Schwester Sissy, (Carey Mulligan ist neben Fassbender der zweite Glücksfall dieses Films), hat da gerade die traurigste Fassung von „New York, New York“ gesungen. Dieses verrückte Huhn mit großen Hüten und zu großem Herzen ist so etwas wie der emotionale Störfall in Brandons Leben.

Ein Blick auf unser Herz

Ein Beweis, wie groß, aber auch wie zerstörerisch Gefühl sein kann. Steve McQueen überdreht dabei zum Finale etwas ins Dramatische. Fassbender heftet am Ende bloß seinen unvergesslichen Blick auf unser Herz – und man weiß, warum er dafür in Venedig den Darstellerpreis gewonnen hat.