Essen. Menschen können ganz schön zäh sein. Betty Anne Waters beispielsweise nimmt in Tony Goldwyns gleichnamigem Film die lange Ausbildung zur Anwältin auf sich, um ihren Bruder Kenny aus der lebenslänglichen Haft zu befreien.

Den Hinweis „Nach einer wahren Begebenheit“ liebt das US-Kinopublikum heiß und innig. Denn hier erlebt es Alltagsmenschen, die über sich selbst hinauswachsen, die all jene Tugenden verkörpern, die in der Realität rar geworden sind – Zivilcourage, Ausdauer, Durchsetzungsvermögen, unbeirrbarer Glaube an das Gute. Betty Anne Waters ist ein exzellentes Beispiel für diese Art des kämpferischen Amerikaners, weshalb man Tony Goldwyns Film „Conviction“ („Schuldspruch“, auch „Überzeugung“) in Deutschland unter ihrem Namen herausbringt. Das kommt gut, schon seit „Erin Brockovich“.

In der Tat hat Betty Anne Waters etwas vollbracht, über das man normalerweise nur den Kopf schütteln würde. Weil ihr geliebter Bruder Kenny wegen angeblichen Mordes lebenslang hinter Gitter sitzen muss und weil kein Anwalt mehr helfen will, beschließt sie kurzerhand, selbst Anwältin zu werden. Für Kenny bedeutet das eine lange Wartezeit von insgesamt 18 Jahren.

Der Kriminalfall selbst, der grausame Mord an einer Frau am Rande von Ayer, Massachusetts, interessiert hier eigentlich nur am Rande. Er ist lediglich der Anlass, den es braucht, um uns dieses ungewöhnliche Geschwisterpaar zu präsentieren. Die Polizei hat zwar keine eindeutigen Beweise gegen den notorischen Unruhestifter Kenny, trotzdem stellt die Justiz ihn vor Gericht, wartet plötzlich mit eindeutigen Zeugenaussagen auf und schickt den vermutlich Unschuldigen daraufhin lebenslang hinter Gitter.

Ehe geht in die Brüche

Bei der Charakterisierung Kennys bleibt der Film wohltuend ambivalent. Sam Rockwell liefert uns da einen impulsiven Hitzkopf, der schon in jungen Jahren, die Rückblenden zeigen es, die kleine Schwester zu unlauterem Tun angestiftet hat. Man stammt aus „zerrütteten Verhältnissen“ und ist zudem noch in unterschiedlichen Pflegefamilien aufgewachsen. Der Zuschauer soll seine Zweifel an diesem auch im Gefängnis noch zu Ausbrüchen neigenden Charakter ruhig behalten.

Die zweifache Oscar-Gewinnerin Hilary Swank hat derweil alle Hände voll zu tun, ihre ehemalige Kellnerin Betty Anne als positiven Charakter zu positionieren. Denn dieses ungemein enge Verhältnis zum eigenen Bruder hat gelegentlich auch einen unangenehmen Beigeschmack. Während sie unermüdlich paukt und in ihrer Kommilitonin Abra (Minnie Driver) eine Mitstreiterin gewinnt, geht nebenbei ihre Ehe in die Brüche, verliert sie auch noch das Sorgerecht für die beiden Kinder.

Die Auswirkung von DNS-Tests

Tony Goldwyn, das wird vor allem im letzten Drittel des Films spürbar, geht es hier jedoch um mehr als nur eine Schilderung positiver Besessenheit. Er will uns bei seinem Ausflug in die Provinz der 80er und 90er Jahre auch zeigen, welche Auswirkungen die Einführung von DNS-Tests für die Justiz hatte: Sie musste 300 Inhaftierte, darunter 17 Todeskandidaten, aufgrund solch neuer Untersuchungsergebnisse rehabilitieren. Auch die schmutzigen Spielchen der Polizei, die mit allen unsauberen Mitteln einen Täter präsentieren will, sind damit weitgehend Geschichte.

Betty Anne kann am Ende zwar triumphieren, die makabre Schlusspointe jedoch wird dem Zuschauer nur im Nachspann mitgeteilt: Kaum sechs Monate in Freiheit, stirbt Kenny nach einem selbstverschuldeten Unfall. So spielt das Leben.