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Schonungslos zeigt Philip Kochs „Picco“ zeigt ab Donnerstag die grausame Gefängnis-Wirklichkeit. Nur Hartgesottene werden das letzte Drittel des Films ertragen können – obwohl sich der Horror vor allem im Kopf abspielt.
Wenn es nicht um erfolgreiche Ausbrüche geht, sind Gefängnisfilme selten angenehm. Meist dienen die Geschichten dazu, schaudernde Blicke in menschliche Abgründe zu werfen. Wer sich in dieser Hinsicht für hartgesotten hält, wird sich auch „Picco“ zumuten können. Wer dagegen schon bei Filmen von Michael Haneke am liebsten das Kino verlassen würde, sollte „Picco“ dringend meiden.
Gegen das Knastdrama wirke ein Film von Haneke „wie ein freundliches Märchen“, hat das Fachblatt Hollywood Reporter über „Picco“ geschrieben. Und das ist alles andere als übertrieben. Die ersten siebzig Minuten sind schon starker Tobak; die quälend lange Schlussszene allerdings, die das letzte Drittel des Films bildet, ist an seelischer Grausamkeit kaum zu überbieten, zumal sich der Horror dank der Bildgestaltung von Markus Eckert vor allem im Kopf abspielt.
Man wird zum Zeugen
Im Grunde lässt sich die Handlung, die sich Philip Koch (Buch/Regie) für sein Langfilmdebüt ausgedacht hat, in zwei Sätzen zusammenfassen: Kevin (Constantin von Jascheroff) kommt zum „Erziehungsvollzug“ in eine Strafanstalt für Jugendliche. Um von den Mitgefangenen nicht als Opfer betrachtet zu werden, muss er zum Täter werden. Geschickt baut Kochs Dramaturgie die Spannung auf, und da die Inszenierung zur Identifizierung mit Kevin einlädt, wird man zwangsläufig zum Mittäter: Als „Picco“, als Knastneuling, wird der junge Mann automatisch zum Ziel von Demütigungen. Der einzige Häftling (Willi Gerk), der zu ihm hält, ist ein Außenseiter. Als der Junge vergewaltigt wird, tut Kevin nichts, um ihm zu helfen. Dieses Schicksal vor Augen sieht er nur einen Ausweg, um dem Mobbing durch seine Zellengenossen (Frederick Lau, Martin Kiefer) zu entgehen: Er muss ihren Sadismus auf den Vierten lenken, den schwächlichen Tommy (Joel Basman), der Psychopharmaka gegen gegen Depressionen schluckt. Im schonungslosen Schlussakt wird er zu Tode gemobbt.
Gerade Lau und Kiefer spielen ihre Rollen beängstigend gut, so dass es schwer fällt, die Täter auch als Opfer zu sehen. Genau das ist jedoch Kochs Absicht: Gefängnisfilme wollen immer auf Missstände hinweisen; der Zuschauer wird zum Zeugen der Anklage. Selten fiel es so schwer, diese Rolle auch zu akzeptieren.