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Sie tanzen in der Schwebebahn, in der Kokerei Zollverein und natürlich auch auf der Bühne des Schauspielhauses: Regisseur Wim Wenders und die Wuppertaler Bausch-Truppe haben der 2009 verstorbenen Choreographin und Tänzerin ein Denkmal in 3D gesetzt.

Es kommt nicht oft vor, dass die Bundeskanzlerin bei der Berlinale ins Kino geht. Aber zur Premiere von Wim Wenders Tanzfilm „Pina“, der Donnerstag in die Kinos kommt, setzten in der vergangenen Woche nicht nur Angela Merkel, sondern auch Bundespräsident Christian Wulff die 3D-Brille auf. Großer Bahnhof für einen Film, der als poetisch-dokumentarische Hommage zwischen Wuppertaler Schwebebahn und Essener Zollverein-Kulisse daherkommt. Regisseur Wim Wenders, der seinen Film gestern in der Essener Lichtburg präsentierte, sprach mit Martina Schürmann über die Erinnerung an eine einzigartige Künstlerin und die Zukunft einer Kinotechnik, die nicht nur spektakeln soll.

Herr Wenders, können Sie sich an die erste Begegnung mit Pina Bausch erinnern?

Wim Wenders: Das war in Venedig, 1984. Alle Welt hatte mir von Pina erzählt, aber ich hatte noch nichts gesehen, weil ich in Amerika gelebt hatte. Ich geb’ zu: ich bin mit Skepsis reingegangen – und war dann komplett umgehauen. Ich war überzeugt, dass es das Schönste war, was ich je gesehen hatte! Schon damals kam die Idee auf, dass wir mal gemeinsam einen Film machen sollten.

Warum hat es dann noch so lange gedauert ?

Wenders: Mein Dilemma war: Ich musste etwas finden, das besser oder „richtiger“ war als schon vorhandene Tanzfilme. Etwas, das diese Lebendigkeit und diese Körperlichkeit vermittelt, die von Pinas Arbeit so direkt in jeden Zuschauer reingeht. Ich hätte jederzeit alles stehen und liegen lassen, wenn ich nur gewusst hätte, wie ich den Film so machen könnte, dass Pina froh damit wäre.

PinaWir waren immer ganz vorne an der technischen Entwicklung dran

Die Begegnung mit 3D war die cineastische Erlösung?

Wenders: Kann man durchaus so sagen. Der Durchbruch kam, als ich 2007 in Cannes den Musikfilm „U2 in 3-D“ gesehen habe. Mir war vom ersten Moment an klar: Das war die Antwort! Ich habe Pina noch aus dem Kino angerufen: „Ich weiß jetzt, wie’s gehen kann!“ Aber wir konnten nicht sofort loslegen. Die Technik brauchte noch Entwicklungs-Zeit, um wirklich ein natürliches Raumgefühl und vor allem fließende Bewegungen zeigen zu können. Ich habe dann gute Leute gefunden, die mir geholfen haben, immer ganz vorne an der Entwicklung dran zu sein. Und gemeinsam mit Pina haben wir schon 2008 die Stücke, die wir drehen wollten, auf den Spielplan 2009 gelegt.

Als die ersten Testaufnahmen im Wuppertaler Schauspielhaus im Juli 2009 laufen sollten, war Pina Bausch gerade gestorben. War das Projekt damit nicht tot?

Wenders: Ja, wir haben alles abgeblasen. Das alte Konzept war in keiner Weise mehr zu halten. Der Plan mit Pina war, sie zu begleiten, bei den Proben, bei den Korrekturen, wir wären mit ihr auf Weltreise gegangen, nach Brasilien, Asien. Das ging nun alles nicht mehr. Und die Stücke allein, das wäre kein Film geworden. Irgendwann habe ich mir dann überlegt, dass es eine gute Methode wäre, Pinas eigene Arbeitsweise anzuwenden, nämlich die Tänzer zu befragen und sie mit Bewegung antworten zu lassen, als ihr Orchester, mit ihren „Körperstimmen“. Und mit den Tänzern nach draußen zu gehen, das hat uns Pina selbst vorgemacht, mit ihrem Film „Die Klage der Kaiserin“.

Bislang galt 3D als Blockbuster-Technik. Sie machen damit erstmals Arthouse-Kino. Was heißt das für die Programmkino-Zukunft?

Wenders: Das 3D-Kino hat irgendwie auf dem falschen Fuß angefangen. Ich rede jetzt nicht von „Avatar“, denn dieser großartige Film hat in jeder Hinsicht Maßstäbe gesetzt. Aber was danach gekommen ist. hat eher enttäuscht, hat die neue Dimension nur als pure Attraktion genutzt. Manchmal sind die Filme ja nicht mal in 3D gedreht worden, sondern in 2D und dann nachgearbeitet. Das hat dem Medium eher geschadet, weil der Eindruck entstand: Das taugt eigentlich nur als Geisterbahn...

Sie zeigen jetzt: 3D kann auch Kunst.

Wenders: Wenn man will, ist 3D ein phantastisches Medium, um ganz anders in die Wirklichkeit rauszugehen. Ich glaube zwar nicht, dass jeder Film automatisch toller ist in 3D, aber es wird auch im Arthouse eine Zukunft haben.

Der Tanz und 3D sind füreinander gemacht

Wollen Sie auch in Zukunft 3D-Kino machen?

Wenders: Unbedingt! Ich bin da echt drauf abgefahren. Man muss sich da wirklich hinein vertiefen, man muss drin sein, auch im Drehprozess, auch beim Schneiden. Ich würde wahnsinnig gerne in 3D weitermachen, hab aber momentan noch kein Projekt.

Müssen wir Zuschauer das Sehen neu lernen?

Wenders: Der Zuschauer muss nicht neu sehen lernen, sondern das andere Sehen höchstens verlernen, das er aus dem Kino gewohnt ist. Das hat uns seit über 110 Jahren erfolgreich vorgegaukelt, dass es den Raum beherrscht. Mit Kamerafahrten, Objektivwechseln, Zooms, Tiefenschärfe... Aber letzten Endes war es immer eine Illusion, die auf einer zweidimensionalen Leinwand stattgefunden hat. Gerade im Tanz war die dritte Dimension das, was das Kino nicht konnte. Der Tanz und 3D sind fürein­ander gemacht.