Berlin. Am 23. Juli 2011 starb Amy Winehouse im Alter von nur 27 Jahren. Ein Dokumentarfilm zeigt sie als zerbrechliche Künstlerin und sucht nach Antworten.
Die Bilder sind eindeutig verwackelt und auch nicht sonderlich scharf, eben ein typisches Home-Video, aufgenommen 1998 während einer Geburtstagsparty in London. Zunächst albern die drei 14-jährigen Mädchen nur ein wenig herum. Dann beginnen sie, „Happy Birthday“ zu singen, und plötzlich bekommt eine eigentlich alltägliche Situation eine wahrhaft magische Qualität. Eines der Mädchen ist die junge, noch ein wenig füllige Amy Winehouse.
Natürlich ist sie in diesem Moment ein Mädchen, das für seine Freundin singt. Doch selbst zu diesem Zeitpunkt, als ihre Musik-Karriere noch in weiter Ferne liegt, hat sie schon etwas ganz Besonderes. Ihre eigenwilligen Phrasierungen und ihre überraschend tiefe Stimme zeugen nicht nur von einem enormen Talent. Sie beschwören auch geradezu überwältigende Gefühle herauf.
Ein kurzes Videodokument als Einleitung
Asif Kapadia hat diese Amateuraufnahmen direkt an den Anfang seiner Dokumentation „Amy“ gestellt und setzt damit gleich ein sehr deutliches Zeichen. An dem wirklich außergewöhnlichen Können der am 23. Juli 2011 im Alter von 27 Jahren an Herzversagen verstorbenen Sängerin und Songwriterin besteht sowieso kein Zweifel. Trotzdem rückt dieses kurze Videodokument das Bild, das seit Jahren in den Medien und den Köpfen der Menschen herumgeistert, erst einmal zurecht.
Kapadias Amy ist ein Mädchen und später dann eine Frau, die sich einfach am besten durch Musik ausdrücken konnte. In dem Moment, in dem sie zu singen anfängt, scheint ihre Seele offen dazuliegen. Dass sie nur wenige Jahre später zu einem internationalen Star wurde, war wahrscheinlich unvermeidlich. Aber eben das ist die Tragödie, die Kapadia in seinem Film ausbreitet.
Das Ständchen auf der Geburtstagsfeier ist ein letzter Augenblick der Unschuld. Nach diesem Moment kann es nur noch bergab gehen. Amy Winehouses erste Erfolge als Jazz-Sängerin und schließlich als Autorin ihrer Songs scheinen dem zunächst noch zu widersprechen. Doch selbst in den Aufnahmen aus der Zeit vor und nach der Veröffentlichung ihres ersten Albums „Frank“ schwingen schon dunkle Untertöne mit. Kapadias Sicht auf das Leben und die Karriere der jüdischen Musikerin, die sich immer davor fürchte, ein Star zu werden, ist zutiefst pessimistisch. Gegen die nach Skandalen gierenden Sensationsmedien und ein alles verschlingendes Musikgeschäft hatte diese zerbrechliche junge Frau keine Chance.
Auf der Suche nach Verantwortlichen
Im Zentrum des Films stehen Interviews, die Kapadia mit Verwandten und Freunden von Amy Winehouse sowie mit Musikern und Managern, Produzenten und Ärzten geführt hat. Die Erinnerungen, die Rechtfertigungen und Zweifel werden von Amateuraufnahmen, von Handy-Videos und Konzertmitschnitten, von Promo-Material und TV-Bildern begleitet.
Je näher die Erzählung dem tragischen Tod von Amy Winehouse kommt, desto klarer benennt der Film die, die in Kapadias Augen verantwortlich waren. Das sind nicht nur einige Menschen, die der Musikerin am nächsten standen: ihr Vater Mitch, der den Erfolg seiner Tochter für seine Zwecke ausgeschlachtet hat, und ihr Ex-Ehemann Blake Fiedler-Civil, mit dem sie eine zerstörerische Amour fou verband. Sondern auch die Maschinerie der Popkultur, die gerade von dem Leiden ihrer Stars befeuert wird. So provoziert „Amy“ letztlich ein gewisses Unbehagen. Und vielleicht ist das sogar die größte Stärke des Films: Niemand ist unschuldig, nicht einmal ein Filmemacher, der eigentlich die besten Absichten hat.
Wertung: Vier von fünf Sternen