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Moritz Bleibtreu spielt Nazi-Minister Joseph Goebbels. Für „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ gab’s Buh-Rufe bei der Berlinale - das findet Bleibtreu in Ordnung. Den „Hang zum Mittelmäßigen“, den er in Deutschland ausmacht, allerdings nicht.
Bekannt wurde er durch „Lola rennt“ und „Das Experiment“. Danach spielte Moritz Bleibtreu, der Sohn von Monica Bleibtreu und Hans Brenner, in Erfolgen wie „Knockin’ on Heaven’s Door“ oder Steven Spielbergs „München“. Nach dem „Baader Meinhof Komplex“ und der Komödie „Soul Kitchen“ erlebt man ihn nun als Joseph Goebbels in „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ von Oskar Roehler. Bevor der Film am nächsten Donnerstag in die Kinos kommt, feierte er gestern Abend bereits Premiere in der Essener Lichtburg. Mit dem Schauspieler sprach zuvor Dieter Oßwald.
Was halten Sie von der Kontroverse, die der Film auf der Berlinale hervorgerufen hat?
Moritz Bleibtreu:Das gehört zum Beruf dazu, dafür macht man auf der Bühne seinen Diener. Wenn das Publikum ‚Buh’ ruft, ist das sein gutes Recht, das ich gerne respektiere. Solange man mich nicht persönlich angreift, ist Kritik doch cool.
Worauf führen Sie die Ablehnung zurück?
Bleibtreu: Dieser Film traut es sich, extrem zu sein. Und das löst in Deutschland noch immer ein gewisses Unbehagen aus, speziell bei diesem Thema. Bei uns gibt es einen Hang zum Mittelmäßigen, und viele Leute fühlen sich in dieser Überschaubarkeit sehr wohl – und das wird hier nicht geboten.
Hatten Sie Bedenken, den Goebbels zu spielen?
Bleibtreu: Nein, überhaupt nicht. Meine Auswahlkriterien für bestimmte Filme sind meist sehr persönlicher Natur. Die Rollen suchen sich eher mich aus als umgekehrt. Meine Angst gilt nicht irgend einer politischen Brisanz, sondern allein der Wahrhaftigkeit.
Warum haben Sie während der Berlinale Goebbels als Clown bezeichnet?
Bleibtreu: Das ist ein Missverständnis. Ich habe nie behauptet, dass Goebbels an sich ein clownesker Mensch war. Allerdings wirkt diese damalige Art von Diktion, Ausdruck und Manieriertheit aus unserer heutigen Sicht clownesk. Man fragt sich schon, wie solch eine übersteigerte Eitelkeit damals so ernst genommen werden konnte.
Soll man über Ihren Goebbels lachen?
Bleibtreu: Es ist wichtig, einen distanzierten Blick auf dieses Kapitel der Geschichte zu bekommen, was keineswegs gleichbedeutend ist mit oberflächlich. Wir brauchen einen offenen Ansatz, der uns erlaubt, gegebenenfalls zu lachen, zu weinen oder zu hassen. Die Möglichkeit, über diese Typen auch lachen zu dürfen, finde ich sehr wichtig. Das ist ein Umgang mit Geschichte, den es so in Deutschland noch nicht gegeben hat. Das finde ich sehr mutig von Roehler.
Ist Ihr Goebbels realistisch?
Bleibtreu:An einer dokumentarischen Verpflichtung, die Figuren minutiös nachzeichnet, hätte ich kein Interesse. Ich hoffe, dass wir bei den Wesenszügen ins Schwarze getroffen haben. Zugleich haben wir uns die Freiheit bewahrt, auch Dinge zu erzählen, die nicht verbürgt sind. Ob sich Goebbels am Tisch dieser Frau so genähert hat, weiß man natürlich nicht. Aber nicht umsonst wurde er der ‚Bock von Babelsberg’ genannt. Wir wollten eine Hypothese wagen – was man sich hierzulande kaum traut.
Was sagen Sie zum Vorwurf, dass der Film einige Dinge verfälscht, etwa die jüdische Ehefrau von Marian?
Bleibtreu: Tarantino lässt Hitler im Kugelhagel sterben, warum sollte ein dramaturgischer Eingriff in die Erzählstruktur nur bei eindeutiger Satire erlaubt sein? Ein Film ist eine in sich geschlossene Realität, immer Fiktion und kein Geschichtsunterricht.
Der Ferdinand Marian hält dem Druck nicht Stand und wird zum Opportunisten - wie würden Sie in vergleichbaren Situationen handeln?
Bleibtreu: Jeder Mensch auf dieser Welt geht Kompromisse ein. Die Frage ist immer, wie weit du dabei gehst und wo Schluss sein muss. Die Frage nach der Verantwortung gehört für mich zum Kern dieses Films. Es geht mir nicht um Goebbels oder Marian. Es geht um die wiederkehrende Frage: ‚Wie weit verbiege ich mich?’
„Jud Süß“ steht auf dem Index. Finden Sie, er sollte freigegeben werden?
Bleibtreu: Das Verbot finde ich kindisch. Ich bin kein Freund von Verboten, weil die vor allem den Reiz auslösen, sich das Verbotenen anzusehen.