Cannes. .
Kaum Stars an der Croisette, und auf die Blockbuster wartet man vergeblich: Die Filmfestspiele von Cannes geben sich in diesem Jahr kritisch bis politisch. Auch wenn er nicht gerade als Frontmann von Attac durchgeht, passt „Robin Hood“ als Eröffnungsfilm da durchaus ins Programm.
Bslang waren die Vorlieben im Festival-Zirkus klar verteilt: Die Berlinale setzt traditionell auf Politik, Venedig kapriziert sich auf Kunst, und Cannes gibt allzu gerne dem Glamour die Kusshand, Hollywood-Hofknicks inklusive. Beim 63. Filmfest an der Côte d’Azur, das am Mittwoch mit „Robin Hood“ von Ridley Scott eröffnet wird, scheint das bisherige Koordinatensystem verschoben: „Politik unter Palmen“ lautet die Parole. Mangels Masse an potentiellen Meisterwerk-Kandidaten, sollen kontroverse Themen für den medialen Wirbel sorgen.
Im Fall des algerischen Beitrags „Hors-la-loi“ (Gesetzlos) von Rachid Bouchareb ist das bereits gelungen: Der kritische Blick auf die Rolle der Franzosen beim Algerienkrieg hat vorab für Proteste rechter Politiker gesorgt, ein Komitee „Für die historische Wahrheit“ droht dem Festival gar mit spektakulären Störungen. Um Vergangenheitsbewältigung der explosiven Art geht es auch dem Tarantino-Produzenten Lawrence Bender. Hatte er im Vorjahr noch „Inglorious Basterds“ im Gepäck, widmet er sich nun mit der Dokumentation „Countdown to Zero“ der Geschichte der Atombombe.
„Wall Street“-Fortsetzung mit Michael Douglas
Die aktuelle Bankenkrise steht gleich mehrfach auf dem Programm. Während „Inside Job“ sich dokumentarisch auf internationale Spurensuche nach den Ursachen der Finanzmisere begibt, lässt Oliver Stone in seiner „Wall Street“-Fortsetzung Michael Douglas als gierigen Bankier Gordon Gekko auferstehen. Gleichfalls als Star mit politischer Mission tritt der zweifache Oscar-Gewinner Sean Penn im Thriller „Fair Game“ an, dem einzigen US-Beitrag im Palmen-Rennen – immerhin mehr als Deutschland, das nach dem fulminanten „Weißen Band“-Erfolg Künstlerpause macht. Nach einer wahren Geschichte spielt Penn einen Diplomaten, der die Bush-Regierung mit kritischen Berichten über den Irak-Krieg so verärgert, dass seine Gattin öffentlich als CIA-Agentin enttarnt wird.
Auffallend zurückhaltend gibt sich die Kommerz-Abteilung der Traumfabrik. Pompöse Blockbuster-Spektakel sind Vergangenheit, selbst der neue „Shrek“ schreckt vor dem Reklame-Einsatz an der Croisette zurück. Die gewohnten Kino-Leuchttürme mit Wow-Effekt sucht man vergeblich. Einen Woody Allen, Mike Leigh oder Stephen Frears kann Cannes allemal aus dem Reigen der vertrauten Stammgäste stellen, Jean-Luc Godard sowieso und auch der Methusalem Manoel de Oliveira, dienstältester Regisseur der Welt, darf mit stolzen 101 Jahren obligatorisch sein neues Werk präsentieren.
Unerfüllt bleiben indes die Hoffnungen auf Regie-Genies wie Peter Weir und Terrence Malick sowie auf junge Wilde wie Darren Aronofsky oder Sofia Coppola. „Nicht fertig“ kann als Entschuldigung kaum gelten. Allerdings scheinen Festivaltermine zunehmend weniger Priorität bei den Planungen der Produzenten zu bekommen. Selbst ein „Robin Hood“ kennt kein Pardon: 24 Stunden nach seiner Premiere reitet Russell Crowe bereits über die Leinwände in aller Welt, schneller kann das Haltbarkeitsdatum von Exklusivität kaum ablaufen.
Pilgerstätte für die Gläubigen der Filmkunst
Aller Mängel zum Trotz wird die nach Olympia medial bedeutendste Veranstaltung wieder für zwölf Tage zur „Pilgerstätte für die Gläubigen der Filmkunst“, wie der legendäre Kritiker André Bazin einst schwärmte. Wenngleich es kaum nach großer Kino-WM aussieht, geben das mexikanische Regiewunder Alejandro Gonzàlez Inàrritu, der Iraner Abbas Kiarostami oder Japans Takeshi Kitano immerhin berechtigte Hoffnung auf eine cineastische Champions-League in Cannes. Zudem will Mick Jagger mit einer neuen „Rolling Stones“-Doku höchstpersönlich für Stimmung sorgen - noch so ein Déjà-vu der Berlinale.