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Einen Oscar als beste Schauspielerin und eine Goldene Himbeere als schlechteste : Vor Sandra Bullock hat sich noch kein Hollywood-Star die beiden Auszeichnungen an einem Wochenende abgeholt. Jetzt läuft das Südstaaten-Sport-Drama „Blind Side - Die Große Chance“ an mit Bullock als hemdsärmeliger Samariterin.

So etwas hatte es bisher noch nicht gegeben: Eine Filmschauspielerin, die sich an einem Tag persönlich die „Goldene Himbeere” für eine miserable Leistung abholt, um am nächsten Tag den Oscar für einen anderen Film zu gewinnen. Sandra Bullock hat uns das in diesem Jahr vorgemacht – eine wunderbare Gelegenheit, um die eigene Person aufzuwerten. Aber auch ein deutlicher Hinweis darauf, wie unsicher die Mittvierzigerin inzwischen bei der Auswahl ihrer Stoffe ist.

Der Zuschauer hat nun innerhalb kurzer Zeit Gelegenheit, beide Filme miteinander zu vergleichen. Diese Woche läuft die Oscar-Nummer „Blind Side – Die große Chance” an, am 29. April folgt der Himbeer-Erfolg „Verrückt nach Steve”. Danach wird man die Himbeere („Razzie”) vielleicht verstehen. Man wird aber auch erkennen, welcher Ingredienzien es bedarf, um wie bei „Blind Side” einen Oscar förmlich zu schmieden.

Sandra Bullock kann in der Rolle der hemdsärmeligen Samariterin aufgehen

Es ist der Stoff, von dem Amerikaner nicht genug bekommen können. Hier ein unterprivilegierter, ebenso sanfter wie massiger schwarzer Teenager, dort eine steinreiche weiße Südstaatlerin mit sozialem Gewissen. Als beide sich begegnen an einem regnerischen Tag, hat Leigh Anne Tuohy (Sandra Bullock) plötzlich eine neue Aufgabe. Sie holt den stillen Riesen Michael Oher in ihre teure Villa und integriert ihn von jetzt auf gleich in ihrer Familie. Der steinreiche Ehemann, welch Wunder, hat ebenso wenig etwas gegen den neuen Schlafgast wie die beiden eigenen, wohlgeratenen Kinder.

In der Rolle der hemdsärmeligen Samariterin Leigh Anne kann Sandra Bullock aufgehen. In der Schule sorgt sie mit einer Privatlehrerin dafür, dass Michael Bildung bekommt, beim Sport stellt sich heraus, welch begnadeter Footballspieler da heranreift. Hindernisse werden beiseite geschafft, die schützende Hand der resoluten Pflegemutter schubst Michael geradezu auf die Karriereleiter. Er ist ein Glück für Leigh Anne, die ansonsten nicht viel zu tun hat in ihrer seltsam tristen Ehe.

Nebenberuf Nervensäge

Fast könnte man die resolute Frau sympathisch finden, wenn die Kehrseite von „Blind Side” nicht hässlich wäre. Alle Schwarzen außer Michael werden in John Lee Hancocks Film gefährlich und unsympathisch gezeichnet; die Heldin hat die Pistole stets in der Handtasche, wenn sie Michaels crack-süchtige Mutter im Getto besucht. Und als ob es ein Schutzschild wäre, betont sie allen herumlungernden Schwarzen gegenüber, dass sie Mitglied der National Rifle Association sei. So steril das Familien- und Eheleben der Tuohys gezeigt wird, so voll von latentem Rassismus scheinen solche Szenen. Die Botschaft: Es braucht eine Weiße, um einem Schwarzen den Weg zu ebnen.

Neben solch gewichtigen amerikanischen Themen, die dem Film ein Einspielergebnis weit jenseits der 200 Millionen bescherte, erscheint Phil Traills „Verrückt nach Steve” fast schon wie eine sympathische Petitesse. Es ist das Por­trät einer Designerin für Kreuzworträtsel, die als Nebenberuf Nervensäge angeben müsste. Ihr angestautes Wissen drängt nach außen, sie muss ihre Mitmenschen damit förmlich totquatschen. Hinzu kommt die sexuelle Unzufriedenheit dieser 40+-Dame, die noch bei den Eltern wohnt, die sie bei ersten Dates sämtliche Hemmungen vergessen lässt.

Keine uninteressante Figur also für eine Komödie. Bullock jedoch macht aus dieser verhaltensauffälligen Mary Horowitz mit ihren roten Lackstiefeln, ihrer ungelenken Erscheinung und dem dauernden „overacting“ eine schwer erträgliche Belastung für den Zuschauer. Eigentlich tut sie nichts anderes als in „Blind Side“: Sie nimmt einen Film und marschiert mit einer einzigen Haltung hindurch. Feinere Nuancen oder gar ein wenig Geheimnis haben bei ihren Figuren keine Chance.