Berlin. .

Der Science-Fiction-Klassiker „Welt am Draht“ ist unter der Leitung von Kameramann Michael Ballhaus restauriert worden und gilt als einer der Berlinale-Höhepunkte. Jetzt kommt die Neufassung des Zweiteilers von Rainer Werner Fassbinder auf den Markt.

Der Science-Fiction-Klassiker „Welt am Draht“ war mehr als 30 Jahre lang nicht mehr zu sehen. Der WDR zeigte den Zweiteiler von Rainer Werner Fassbinder (1945-1982) über Sein und Schein in einer virtuellen Welt im Jahr 1973. Unter der Leitung von Kameramann Michael Ballhaus (“Departed“, „Good Fellas“) wurde der Film restauriert und als ein Berlinale-Höhepunkt in seiner neuen digitalen Fassung gezeigt. Ein Interview über den Regisseur und Ballhaus’ Erinnerungen an die Dreharbeiten in Paris.

„Welt am Draht“ ist 1973 entstanden. Wie gut können Sie sich an die Dreharbeiten erinnern?

Ballhaus: Die Erinnerungen an den Dreh sind noch sehr präsent. „Welt am Draht“ ist ein Film, in dessen Denkweise man sehr schnell eintaucht. Sich vorzustellen, dass jemand einen Stecker zieht und wir alle nicht mehr da sind, gelingt leicht. Das ging bei mir so weit, das ich anfing, auf mögliche Zeichen aus einer anderenm Welt zu achten. Ich dachte: Dieses Nummernschild, das erzählt dir etwas. Oder: Diese bestimmte Buchstabenzusammensetzung, die will dir was sagen.

Sie kümmerten sich Jahre später um die Rechte für ein Remake...

Ballhaus: Ja. Mich hat die Geschichte so fasziniert, dass ich irgendwann dachte, jetzt wäre die Zeit für eine Neuverfilmung unter besseren technischen Möglichkeiten. Die Rechte an dem Originalroman waren gerade frei geworden. Zu dem Remake bin ich leider nie gekommen, meine Arbeit in Amerika hat mich zu sehr vereinnahmt. Die Rechte habe ich dann an Roland Emmerich abgetreten, der „The thirteenth floor“ produzierte. Ich schaute den Film an und fand die alte Version allerdings besser. „Welt am Draht“ hat eine Magie, die bei Emmerich nicht vorkommt.

Was genau gibt dem Film diese Magie?

Ballhaus: Eine große Bedeutung kommt den Figuren zu, diesen bunten Vögeln, die in ihren Rollen allesamt wahnsinnig echt wirken. Man ist von Anfang an interessiert an ihnen. Da ist eine Spannung, ein Geheimnis. Man fragt sich, was ist da für eine Geschichte. Wie geht das weiter, was passiert da jetzt?

Die meisten Darsteller gehörten 1973 schon zur alten Riege, waren nur noch selten auf dem Bildschirm zu sehen...

Ballhaus: Fassbinder wollte für diesen Film sehr spezielle Leute haben, ältere Schauspieler, die man kaum noch kannte oder die sich unter Wert verkauften. Er wollte Leute, die Erfahrung mitbringen. Leute wie Joachim Hansen, Adrian Hoven oder Klaus Löwitsch. Barbara Valentin zum Beispiel ist hinreißend in der Rolle der Gloria. Jeder einzelne Darsteller konnte etwas ganz Spezielles mitbringen, auch in kleinen Rollen.

Warum wurde der Film ausgerechnet in Paris gedreht?

Ballhaus: Wir brauchten eine futuristische Kulisse. Paris hatte damals Stadtteile, die sehr modern waren. Vororte mit langen Straßen, riesige Häuserblocks ohne Gärten... Wir wollten irgendetwas haben, was man noch nicht gesehen hat, schließlich ging es darum, eine neue Welt darzustellen.

Wie war die Zusammenarbeit mit Fassbinder?

Ballhaus: Fassbinder hatte immer eine Vision. Er wusste genau, was er haben wollte und hat in ganzen Bildern gedacht. Wir haben Szenen nie gecovert, sie nie von verschiedenen Winkeln aus gedreht, sondern immer direkt auf Schnitt. Für den Kameramann ist sehr wichtig zu wissen, wie das nächste Bild aussieht. Fassbinder wusste immer, welche Einstellung als nächstes folgen sollte. Diese Begabung habe ich in Amerika nur noch bei Martin Scorsese erlebt.

Gab es Besonderheiten beim Drehen?

Ballhaus: Wir haben sehr viel mit Spiegeln gearbeitet. Darum geht es ja in dem Film: Was ist real und was ist nur ein Bild? Für mich war das sehr schwierig. Ich wundere mich immer, warum ich in dem Film nicht selbst zu sehen bin. Fassbinder hatte außerdem immer wieder neue Einfälle. Einmal wollte er, dass ich die Kamera einen Zentimeter über dem Boden entlang führe, was nicht sehr einfach war. Ein paar Tage später habe ich mir im Kino „Der letzte Tango in Paris“ angeschaut und genau diese Einstellung gesehen. Aber gut, man klaut halt von den Besten.

In neun Jahren haben Sie 16 Filme mit Fassbinder gedreht. Was haben Sie von ihm gelernt?

Ballhaus: Die Schnelligkeit. Fassbinder hat immer die Peitsche geschwungen. Manchmal fragte er mich um meine Meinung. Wenn ich sagte, na ja, vielleicht machen wir das so oder so, dachte er kurz nach und hatte dann eine bessere Idee. Das war immer so und daraus habe ich natürlich gelernt. Beim nächsten Mal war ich schon ein Stück interessanter für ihn. So haben wir uns gegenseitig gesteigert und das hat viel Freude gemacht.

Wie beurteilen Sie die Inszenierung von „Welt am Draht“ heute, mit 37 Jahren mehr Erfahrung.

Ballhaus: Ich denke: Donnerwetter, was wir damals schon alles gemacht haben. Ohne Tricks, alles war real, nichts wurde digital hergestellt. Hätte ich heute nur die Mittel von damals, ich würde nichts anders machen. Ich hab mich selbst gewundert wie gut der Film ist. Ich bin stolz. (ddp)