Köln. .

Nach einem Jahr galoppierender 3D-Hysterie setzt eine künstlerische Stagnation ein. Wim Wenders spricht beim Medienforum NRW in Köln über die Technik – und sieht viel künstlerisches Potenzial für Spielfilme und Dokumentationen.

Neue Technologien und Verwertungsstrategien beeinflussen unweigerlich künstlerische Schaffenprozesse, und so kommen umwälzende Entwicklungen nicht nur auf die Medien- und Kunstwelt zu, sondern auch auf Künstler und ihre Werke. Besonders das Kino befindet sich 115 Jahre nach seiner Erfindung vor einschneidenden Neuerungen. Hoffnungsträger der Industrie ist dabei 3D geworden. Die stereoskopische Bildgestaltung und -wiedergabe erlaubt eine räumliche Wahrnehmung, wie sie herkömmliche Filmprojektionen in Kino, TV und Computer noch nicht leisten können. Die außerordentlichen Kassenerfolge von „Avatar“ und „Alice im Wunderland“ sowie der Animationsfilme von Pixar („Oben“), DreamWorks („Drachenzähmen leicht gemacht“) und Blue Sky („Ice Age 3“) haben in der Branche eine Goldgräberstimmung ausgelöst. Mit Hochdruck werden Mittel und Wege für eine 3D-Massenproduktion entwickelt, denn noch ist der Ausstoß gering. Was nützen etwa 3D-TV-Geräte und -Programme, wenn es derzeit nur knapp 100 3D-Filme zu vermarkten gibt?

Im Gegenzug setzt nach einem Jahr galoppierender 3D-Hysterie im Kino bereits eine künstlerische Stagnation ein. Für das Publikum ist 3D laut Erhebung eine Angelegenheit für Horror, Science Fiction und Fantasy. Aber genau in diesen Genres scheint der Oberflächenkitzel der neuen Technologie bereits ausgereizt, das Ringen um eine tie­fergehende kreative Auseinandersetzung setzt ein. Auf dem Medienforum NRW in Köln stand deshalb zur Diskussion, wie weit sich dabei Technik und Inhalt aufeinander zubewegen müssen, um eine neue Chance fürs Kino zu nutzen.

Grau und milchig

Wim Wenders hat dazu eigene Erfahrungen gesammelt. Deutschlands Ausnahme­regisseur steht kurz vor dem Abschluss der Dreharbeiten seines ersten 3D-Films „Pina“, der das Wirken der Choreografin Pina Bausch als Spiel- und Tanzfilm fürs Kino aufbereitet. Dennoch hat er immer wieder erkennen müssen, dass auch brandneues Equipment die Arbeit zwar erleichtern kann, aber grundsätzliche Probleme bleiben bestehen. Wenders: „Ein wichtiges Kriterium ist der Lichtwert. 3D-Filme verlieren von der ursprünglichen Aufnahme bis zur Projektion auf die Kinoleinwand um bis zu drei Blenden. Deshalb sehen die Filme stets etwas grau und milchig aus.“

Auch im Tempo der Bildfolgen und Kamerabewegungen muss wieder langsamer gedacht werden. Nach zehn Jahren rasanter Schnittfrequenzen muss für 3D wieder primär in ruhigen Bildern gearbeitet werden, weil der räumliche Effekt sonst verloren geht. Sportveranstaltungen wie Fußball sind deshalb nur sehr begrenzt 3D-tauglich.

Als Standard im Kino sieht Wenders für 3D vor allem dann eine Chance, wenn die Technik nicht länger nur für Animation und Trickeffekte genutzt wird: „Im Dokumentarfilm liegen ganz große Möglichkeiten, wie wir sie noch nie gesehen haben. Und auch der herkömmliche Spielfilm, ja selbst ein Kammerspiel kann durch 3D neue Aspekte ausloten, denn das stereoskope Bild eines Menschen vor der Kamera schafft eine Präsenz, die ist atemberaubend.“ Letztlich aber, ist sich Wenders sicher, ist immer noch der Zuschauer selbst die letzte Instanz für die Wahrnehmung eines Films. „Es bleibt also beim guten alten Kino: Bilder und Drehbuch.“

Wim Wenders im Videointerview