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Alles nur geträumt? In Christopher Nolans komplexem 160 Millionen-Dollar-Experiment „Inception“ muss man schon hellwach sein. Leonardo DiCaprio spielt Dom Cobb, eine Art Vampir der Traumwelt.

Meine betagte Schwiegermutter träumt nicht gerade wenig. Vom Krieg, von ihren Enkelkindern, von der Kindheit in Bayern. Weil sie immer schon pragmatisch veranlagt war, hat sie inzwischen sogar die Fähigkeit entwickelt, in Fortsetzungen zu träumen. Uns hat das nicht wenig erstaunt, einen wie Dom Cobb aber würde das sicher nicht mal ein müdes Lächeln abgewinnen. Cobb ist die Hauptfigur in Christopher Nolans neuem Film „Inception“, und obwohl er von Leonardo DiCaprio gespielt wird, möchte man von diesem Menschen lieber nicht träumen. Es könnten einem Gedanken fehlen am nächsten Morgen.

Dieser Cobb ist eine Art Vampir der Traumwelt. Er ist in der Lage, sich in die Träume fremder Menschen einzuschleichen, um ihnen Geheimnisse zu entreißen. Er ist dabei nicht nur Geschäftsmann, er ist auch ein Getriebener, der immer stärkere Herausforderungen sucht und dem die Realität fremd geworden ist, seit seine Frau offenbar Selbstmord begangen hat. Als ihm der japanische Geschäftsmann Saito (Ken Watanabe) vorschlägt, es doch mal mit der Implantation einer Idee zu versuchen, schreckt jedoch auch Cobb zurück. Eine „Inception“, das hat bisher noch keiner gewagt. Fremdes Gedankengut zu verankern, das bedarf das Eindringen in tiefste Traumschichten, um an das Unterbewusstsein selbst heranzukommen. Das Ziel: Robert Fischer (Cillian Murphy), Sohn und Erbe von Saitos größtem Konkurrenten, soll auf den Gedanken kommen, das Geschäftsimperium seines Vaters zu zerschlagen.

Komplexität und Bilderzauber erwarten die Zuschauer

Bis jetzt hört sich das noch alles relativ eingängig an. Aber seit „Memento“ wissen wir, dass bei einem Tüftler wie dem Briten Christopher Nolan nichts einfach zu haben ist. Dieser erste Arthaus-Erfolg erzählt im Rückwärtsgang vom Schicksal eines Mannes mit Kurzzeitgedächtnis. Nach seinem enorm erfolgreichen Relaunch der Batman-Saga gilt Nolan inzwischen auch in den Chefetagen der Hollywood-Majors als Regie-Wunderkind, weshalb er nun mit einem komplexen, 160 Millionen Dollar teuren Experiment wie „Inception“ durchkommt. Über eine Stunde dauert es, bis die komplizierten Regeln des Traumspiels erklärt sind und man entweder wegen Migräne aussteigen will oder bei der Stange bleiben kann.

Um das Publikum nicht vollends zu verwirren, greift Nolan auf den bekannten Topos des geplanten Raubüberfalls zurück. Cobb heuert ein Dreamteam ausgewählter Spezialisten an, als gelte es, unterirdisch in eine Bank einzudringen. Es gibt einen Kon­trolleur für den Ein- und Ausstieg aus den Träumen, einen Experten für Gestaltwandlung im Tiefschlaf, einen Chemiker für die Einschlaf-Cocktails und eine junge Architektin, die für das Opfer ein angenehmes Umfeld im Traum kreieren soll. Der eigentliche Architekt jedoch ist Nolan selbst, der den Zuschauer nun mit purem Bilderzauber konfrontiert.

Spaziergang durch die Träume

Das kann ein Spaziergang durch ein erträumtes Paris sein, bei dem Straßen und Gebäude sich plötzlich wie Linoleum aufrollen und die Autos auf einmal am Himmel fahren. Das kann beim Abtauchen in die tieferen Traumebenen aber auch die wachsende Instabilität der Umgebung sein, irritierende Veränderungen oder bloßer Zerfall. Wer am Ende noch weiß, auf welcher Etage er sich gerade befindet, warum Realzeit schneller vergeht als Traumzeit und ob an der Oberfläche überhaupt eine Realität existiert, der ist preisverdächtig.

Schon öfters sind im Film Menschen in die Gehirne anderer eingedrungen, um dort Informationen zu erhalten. Aber noch niemand hat daraus ein derart kompliziertes Gebilde gebastelt, das den Zuschauer durch immer neue Falltüren rutschen lässt. Um auch Action ins Spiel zu bringen, erfindet Nolan bewaffnete Antiviren in Gestalt von Bodyguards, die den Träumer vor Eindringlingen schützen sollen. Und damit auch die Emotion gefüttert wird, gibt es diese seltsame Beziehung zwischen Cobb und seiner Ehefrau Mal (Marion Cotillard), die auch nach ihrem Tod immer wieder in den Träumen ihres Mannes auftaucht. Aber war ihr Suizid eigentlich real? Oder ist am Ende sie es, die diesen Film träumt? Nutzlose Fragen, die zu nichts führen.

Bei aller Bilderkunst Nolans wird man das Gefühl nicht los, dass da ein Regisseur sich seiner vermeintlichen Bedeutsamkeit viel zu sicher ist. „Eine Idee ist wie ein Virus“, sagt Cobb an einer Stelle des Films, sie könne wuchern wie Krebs und unschöne Folgen haben. Nehmen wir es als Metapher für diesen Film.