Für ihren reifen Auftritt in dem literatischen Drama „Die Frau des Nobelpreisträgers“ könnte Glenn Close erstmals einen Oscar erhalten
Auf den ersten Blick führen Joan und Joe Castleman (Glenn Close und Jonathan Pryce, Bild unten) eine mustergültige, nach beinahe vier Jahrzehnten sehr vertraute Ehe. Joan stärkt ihrem Gatten den Rücken, während dieser als berühmter Literat internationale Erfolge feiert. Allenfalls der gemeinsame Sohn David (Max Irons) sorgt für Unfrieden, da er als angehender Schriftsteller auf den Segen des erfolgreichen Vaters hofft, diesen aber nicht bekommt.
Lebenswerk im neuen Licht
Als Joe mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet werden soll, fliegt er mit Joan und David nach Stockholm. Dort dringt unter Zutun des investigativen Journalisten Nathaniel Bone (Christian Slater) eine Wahrheit an die Oberfläche, die die Beziehung der Castlemans und Joes Lebenswerk in einem völlig neuen Licht erscheinen lässt.
Das Drehbuch der Autorin Jane Anderson basiert auf dem 2003 veröffentlichten Roman „The Wife“ von Meg Wolitzer. Anderson verteilt die Informationen mit sehr viel Geschick, sodass erst nach und nach deutlich wird, worum es eigentlich geht. Die Konflikte schwelen lang im Hintergrund und spitzen sich dann immer mehr zu, ohne dass die Dramatisierung je erzwungen wirkt. Als der Kern des Konflikts schließlich offen liegt, erhalten die vorherigen Szenen eine neue Bedeutung, die zuvor nur zwischen den Zeilen erahnt werden konnte.
Die kurzen Rückblenden, die zwischendurch die Anfänge der Liebesbeziehung aufrollen und in denen Closes Tochter Annie Starke die Joan spielt, treten dabei in eine vielschichtige Korrespondenz mit der Gegenwartshandlung, ohne ihre dramaturgische Funktion allzu offensichtlich vor sich herzutragen. Erst am Ende ergeben die Szenen ein rundes Gesamtbild, und erst dann wird klar, warum bestimmte Situationen aus der Vergangenheit eingestreut wurden.
Nahaufnahme
Für das Drama „Morgengrauen“ erhielt Björn Runge im Jahr 2004 den Silbernen Bären der Berlinale.
Im Lauf ihrer Karriere wurde Glenn Close sechs mal für einen Oscar nominiert – unter anderem für „Eine verhängnisvolle Affäre“.
Charaktere in Nahaufnahmen
„Die Frau des Nobelpreisträgers“ ist ein klassischer, gewissermaßen „literarischer“ Spielfilm, bei dem die inneren Konflikte der Figuren im Vordergrund stehen. Entsprechend inszeniert der schwedische Regisseur Björn Runge den Stoff sehr gediegen und unter Verzicht auf ausgefallene Kameraeinstellungen oder Schnitte. Der Filmemacher konzentriert sich voll und ganz auf die Charaktere, die oft in Nahaufnahmen gezeigt werden, viele Dialoge führen und immer wieder sprechende Blicke austauschen.
Durch die zurückgenommene Inszenierung, die zu keiner Zeit vom Inhaltlichen ablenkt, fällt der Ensembleleistung natürlich umso mehr Bedeutung zu. Hier kann sich Björn Runge auf einen erlesenen Cast verlassen, aus dem neben der Hollywood-Veteranin Glenn Close („Gefährliche Liebschaften“) insbesondere ihr Film-Ehemann Jonathan Pryce („Die Frau in Gold“) und Christian Slater („Nymphomaniac“) hervorstechen, der als manipulativer Journalist zur Höchstform aufläuft. Vor allem in den vielen stillen Momenten brilliert Glenn Close, wenn sich in ihrem Gesichtsausdruck die komplette Tragweite des Dramas spiegelt.
GB/S/USA 2017, 100 Min., R: Björn Runge, D: Glenn Close, Jonathan Pryce, Max Irons, Christian Slater, Harry Lloyd, Annie Starke FSK 6, Wertung: 4 von 5 Sternen