Essen. Puccini in New York und Oberhausen: Die Metropolitan Opera überträgt ihre Vorstellungen live in deutsche Kinos. Die Nachfrage ist bei Opernfreunden steigend und zeigt Popcorn und Parsifal sind längst keine Feinde mehr.
Es gibt ein paar kulturelle Verabredungen, die hat man eine gefühlte Ewigkeit stillschweigend akzeptiert. Zum Beispiel, dass Popcorn und Parsifal natürliche Feinde sind. Aber dann gingen die drei Tenöre in Fußballstadien und man durfte zu „Nessun dorma” Eis am Stiel lecken. Das schmeckte nicht jedem, aber ein Durchbruch war es doch.
Orchester-Feuer einer chancenlosen Liebe
Domingo & Co
In der Region beteiligt: Cinestar Dortmund, Cinemaxx Oberhausen, Cineworld Recklinghausen, Atelier Düsseldorf. Termine: 10. Oktober, „Tosca" in einer Inszenierung von Luc Bondy. 7. November, „Turandot" inszeniert von Altmeister Franco Zeffirelli. 19. Dezember, Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen" mit Netrebko, Garanca, Villazón. 16. Januar, „Carmen" mit Angela Gheorghiu und Barbara Frittoli. 6. Februar, Verdis „Simon Boccanegra" mit Placido Domingos Wechsel ins Baritonfach. 27. März „Hamlet" mit Nathalie Dessay. 1. Mai, Rossinis Oper „Armida" mit Renée Fleming. Karten (23 Euro) nur über Internet und direkt an der Kasse. Keine telefonische Reservierung!
Vor diesem Hintergrund ist der Weg der Oper ins Kino ganz natürlich. Die Rede ist nicht von Opernfilmen, also jenen im Studio perfektionierten Gesamtkunstwerken, für die zuletzt Netrebko und Villazón vor der Kamera standen. Nein, exakt in dem Moment, da an einem der berühmtesten Opernhäuser der Welt der Tenor seinen ersten sehnsuchtsvollen Seufzer von sich gibt, betritt er auch in Oberhausen oder Dortmund die Bühne.
Das verursacht eine Live-Schaltung zum Lincoln-Center, der Heimat des New Yorker Metropolitan Opera House, und funktioniert, wie Carsten Gülker sagt, „nicht anders als der Auftritt eines ARD-Korrespondenten aus Beirut”. Wozu kräftige Satelliten-Schüsseln auf dem Dach gehören. Gülker ist Theaterleiter (so heißt es wirklich und nicht etwa Kinochef) des Dortmunder Cinestar.
Das Cinestar zählt zu den deutschen Kinos, die den Zuschlag bekommen haben, in dieser Spielzeit insgesamt sieben Mal zugeschaltet zu sein. Es ist 13 Uhr New Yorker Ortszeit, 19 Uhr bei uns, wenn James Levine aufs Dirigentenpult steigt, mit den Met-Philharmoniker das Orchester-Feuer einer chancenlosen Liebe zu entfachen. Es gibt Puccini, es gibt „Tosca”. Und es leuchten die Sterne . . .
Troubadour und Terminator in friedliche Koexistenz
Wie richtet sich ein Kino ein auf ein Publikum, das Belcanto besser kennt als Blockbuster? „Wir werden eine Garderobe haben”, sagt Gülker, „und kleine Snacks in der Pause!” Das sollte helfen, Troubadour und Terminator in friedliche Koexistenz zu führen.
Wer als Kino dabei sein will, muss aber vor allem eines sein: technisch gut gerüstet. Da mag der nostalgische Lichtspielhaus noch so gut zu Verdi passen: Ohne digitale Projektionstechnik kriegt kein Kino den Zuschlag. Ohne „High Definition” kein hohes C.
„Vor allem die großen Ketten haben noch längst nicht alle umgerüstet”, sagt Bernhard Kunz, von der Clasart Classic, Inhaberin der Rechte von MET-Übertragungen für Deutschland und Österreich. Die Nachfrage nach Arien im Multiplex ist gut. 2007, im Pionierjahr, waren es fünf Kinos. „Die Nachfrage bewegt sich seither kontinuierlich nach oben” sagt Kunz. Inzwischen sind es 44 deutsche Filmtheater, die bei „Met im Kino” dabei sind – von Herbst bis Frühling monatlich und natürlich in jenen Star-Besetzungen für die die MET seit seligen Caruso-Zeiten bürgt: Placido Domingo, Angela Gheorghiu, René Pape, Marcelo Álvarez.
Live ist live
Von Auslastungszahlen lässt sich schwerlich sprechen. Es ist ja kein Film, der Wochen läuft. Immerhin: Als Anfang 2009 Anna Netrebko per Leinwandübertragung die „Lucia di Lammermoor” sang, waren die zugeschalteten deutschen Kinos größtenteils ausverkauft. In Nürnberg öffnete man zusätzliche Säle.
Um ein großes Wort gelassen auszuschreiben: Live ist live. Jede Vorstellung ist spannend. Bleibt im Lincoln-Center dem Bass die Stimme weg, wird das auch in Oberhausen gehört. Erschüttert in New York ein Unwetter die Satelliten, kann Schnee auf der Leinwand die Folge sein. „Wir hängen am Tropf der Met”, sagt Carsten Gülker – und es klingt, als gefiele ihm, der doch sonst jeden Film-Showdown auswendig kennt, dieser Kitzel.
Bernhard Kunz übrigens zieht die Trennlinie von Nachos und Nabucco nicht allzu streng. Und doch erinnert er sich, das „Met im Kino” eben doch kein Film ist wie alle anderen: „Ich selbst habe mir auch mal Süßes mitgenommen. Aber Sie glauben nicht, wie laut eine Tüte Gummibärchen sein kann, wenn alles rundherum still ist.”