Essen. Massen-Auflauf der A- bis (Doppel)-D-Promis vor der Essener Lichtburg: Der Film „Kopf oder Zahl“ feierte Deutschland-Premiere. Die Top-Besetzung mit Ralf Richter, Heinz Hoenig, Mark Keller und Claude Oliver Rudolph weckte hohe Erwartungen, die nicht erfüllt wurden.

Schon bevor sich der rote Vorhang im Kino öffnet, herrscht – zumindest auf der Bühne – Weltverbesserungsstimmung. Sie wollen Menschen zeigen, die von der Gesellschaft „abgewrackt“ wurden, und ihren Zuschauern die Augen öffnen, nicht wegzuschauen, sagen die beiden jungen Regisseure Benjamin Eicher und Timo Mayer. Die Figuren in ihrem Film sind tatsächlich der Kaffeesatz der Moderne: korrupt, drogenabhängig, kriminell.

Arg verzweigte Handlungsstränge

Mit mutigen schnellen Schnitten und arg verzweigten Handlungssträngen wird in „Kopf oder Zahl“ das Leben von zwölf Menschen gezeigt, die das Schicksal zusammenführt. Im Mittelpunkt steht dabei ein Kilo Heroin, das von der illegalen Einwandererfamilie Assadi ins Land geschmuggelt wurde. Das weckt bei allen Begehrlichkeiten: Polizist Ron (Ralf Richter) wittert eine weitere Chance, seine Position gewinnbringend auszunutzen. TV-Moderatorin und Rassistin Valerie Kaiser (Saskia Valencia) möchte mit einer großen Story zum Umdenken in Sachen Ausländerpolitik bewegen. Die beiden Straßen-Gangster Aron und Sammy, gespielt von Afrob und Harris, sehen die Gelegenheit, endlich bei Drogendealer Thomas (Dirk Heinrichs) einzusteigen. Der schuldet Richie (Mark Keller), frisch aus dem Gefängnis entlassen, noch 20 000 Euro. Mit in den Sog gezogen wird auch Tommy (Joschua Keller), der Sohn von Richie, über dessen Leben am Ende eine Münze entscheidet.

Beklemmende Bilder

„Ey, verstehst du, was die alle miteinander zu tun haben?“, fragt ein Zuschauer nach der ersten Dreiviertelstunde seinen Nachbarn. So banal die Frage ist – er war wohl nicht der Einzige, der sie gestellt hat. Der Grundgedanke der beiden Nachwuchs-Regisseure ist gut. Soziale Missstände in Deutschland anprangern und aufrütteln. Doch „Kopf oder Zahl“ ist für Otto-Normal-Kinogänger zu viel: Zu viel Gewalt, zu anstrengende Kameraschnitte, zu viele überzeichnete Charaktere: von der stillen und heroinabhängigen Zwangs-Prostituierten Irina (Jana Pallaske) über den abstoßenden Schrotthändler Karl (Claude-Oliver Rudolph) bis eben hin zum brutalen Polizisten Richie, der seinen Opfern auch gerne mittels Brandmarken auf ihrem Körper mitteilt, was er zu sagen hat. Der Zuschauer sieht einen kleinen Jungen, der sich Heroin spritzt. Eine düster wirkende Stadt, in der nur die Autobahn, nicht aber das Leben pulsiert. Und vor allem Misshandlungen, Morde und Diskriminierung.

Die Hauptdarsteller füllen ihre Rollen allesamt nach Maß aus. Vor allem Ralf Richter ist die Figur des korrupten Polizisten Richie auf den Leib geschneidert. Was dennoch fehlt, ist ein Hauptdarsteller. Auf niemanden kann man sich so recht konzentrieren, mit ihm mitfiebern, leiden oder hoffen.

Kein Popcorn-Kino

Dass mit „Kopf oder Zahl“ nicht unbedingt Popcorn-Kino zu erwarten ist, war schon im Vorfeld klar. Natürlich darf und muss auch auf der Leinwand Gesellschaftskritik geübt werden. Dennoch möchte der Zuschauer unterhalten werden. Wenn es das Ziel war, mit dem Film Beklemmung auszulösen, ist es Eicher und Mayer gelungen. Wer aber einen entspannten, unaufgeregten Abend im Kino verbringen möchte, sollte das tun, was die beiden Regisseure anprangern: Wegschauen.

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