Berlin. „Spotlight“ hat den Oscar für den besten Film bekommen. Die US-Reporter aus der Geschichte können auf große Vorbilder verweisen.

Der Film „Spotlight“, der mit dem Oscar für den besten Film ausgezeichnet worden ist, feiert den Enthüllungs-Journalismus als packenden Thriller. Er zeigt, wie Reporter der amerikanischen Zeitung „The Boston Globe“ 2003 dem systematischen sexuellen Missbrauch in der Katholischen Kirche auf die Spur kamen – und wie sie in mit ihren investigativen Recherchen gegen den vermeintlich übermächtigen Einfluss der Kirche in Boston die Wahrheit ans Licht brachten.

Das Reporter-Team des „Globe“ bekam für seine Artikel-Serie schließlich den Pulitzer-Preis, die höchste Auszeichnung für journalistische Arbeit. Der Missbrauchsskandal, der damals von Boston ausging, zog weltweit Kreise und erschütterte die Katholische Kirche, die einen schweren Vertrauensverlust erlitt.

Die Bostoner Journalisten reihen sich damit ein in eine lange Riege von Reportern, die mit ihren Recherchen Skandale enthüllten und Missstände aufdeckten. Ein Überblick über die wichtigsten und folgenreichsten Enthüllungsgeschichten der Pressegeschichte.

• 1913: Egon Erwin Kisch und der „Fall Oberst Redl“

Die „Mutter aller Enthüllungs-Stories“ – aber auch wiederum nicht. Der Reihe nach: Als am Morgen des 25. Mai 1913 der österreichische Oberst und Generalstabschef Alfred Redl tot in einem Wiener Hotelzimmer gefunden wird, ist schnell klar: Er hat sich selbst erschossen. Redl hatte als Nachrichtenoffizier Zugang zu geheimsten Dokumenten. Doch die Hintergründe seines Freitods werden von Militärs und Politik zunächst vertuscht.

Trotzdem wird spekuliert, der Reporter Egon Erwin Kisch geht für die Tageszeitung „Bohemia“ den Gerüchten nach und bald findet er heraus: Der Spionjäger Redl hat selbst spioniert und militärische Geheimnisse der österreich-ungarischen Armee an Russland, Italien und Frankreich verraten. Als das intern aufflog, zwang man ihm zum Selbstmord.

Bei der Veröffentlichung greift Kisch zu einem Trick. Um die Zensur zu umgehen, formuliert er seine Enthüllungen in Form eines Dementis: „Von hoher Stelle werden wir um Widerlegung der speziell in Militärkreisen aufgetauchten Gerüchte ersucht, dass der Generalstabschef des Prager Korps, Oberst Alfred Redl, der vorgestern in Wien Selbstmord verübte, einen Verrat militärischer Geheimnisse begangen und für Russland Spionage getrieben habe.“

Allerdings: Heute ist nachgewiesen, dass Kisch sich die Fakten für seine Berichte über den Fall bisweilen etwas zurecht bog, die Sache ausschmückte und sich auf die Recherchen anderer stützte. Seinem Ruhm schadete das nicht. Der nach ihm benannte Egon-Erwin-Kisch-Preis (heute: Henri Nannen Preis) ist der renommierteste Journalistenpreis in Deutschland.

• 1962: Rudolf Augstein und die „Spiegel-Affäre“

„Bedingt abwehrbereit“ lautet die Überschrift einer Titel-Geschichte, die das Magazin „Der Spiegel“ am 10. Oktober 1962 bringt. Es geht um das Herbstmanöver „Fallex 62“ der Nato und die umstrittene Atombombenstrategie des Bündnisses. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hat den Verdacht, das Blatt habe Staatsgeheimnisse öffentlich gemacht – und damit Landesverrat begangen.

In der Folge besetzt die Polizei die Redaktion, durchsucht die Wohnungen mehrerer Redakteure. Herausgeber Rudolf Augstein, die Chefredakteure Johannes K. Engel und Claus Jacobi und weitere Redakteure werden festgenommen. Doch die Landesverrats-Vorwürfe fallen immer mehr in sich zusammen. Stattdessen wächst die Kritik an Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß, der die Ermittlungen vorantrieb – obwohl er gar nicht zuständig ist. Als offenkundig wird, dass Strauß im Parlament die Unwahrheit gesagt hat, muss er sein Ministeramt quittieren.

Am 7. Februar 1963 wird Augstein als letzter „Spiegel“-Mann aus der Haft entlassen. Später kommt ein unabhängiges Militärgutachten zu dem Ergebnis: Die umstrittene Geschichte enthielt keine Staatsgeheimnisse, Landesverrat lag nicht vor. Bis heute gilt die Affäre als der massivste Angriff auf die Pressefreiheit in der Geschichte der Bundesrepublik.

• 1969: Seymour Hersh und das My-Lai-Massaker

Als Soldaten der amerikanischen „Task Force Barker“ am 16. März 1968 in der Nähe dreier vietnamesischer Dörfer von Hubschraubern abgesetzt werden, lautet ihr Auftrag: die Region „durchkämmen“, ein hier vermutetes Kampfbataillon des Vietcong aufspüren und Funktionäre der Nationalen Befreiungsbewegung festsetzen. Routine. Was dann jedoch geschieht, wird als „Massaker von My Lai“ in die Geschichte eingehen.

Die Soldaten marschieren in auf US-Militärkarten als „My Lai“ und „My Khe“ verzeichnete Dörfer ein. Auf die Einheit wird kein einziger Schuss abgegeben, Bewaffnete sind nirgendwo zu sehen – die GIs wissen, dass ihnen nur Zivilisten gegenüberstehen. Trotzdem eröffnen sie das Feuer. Die Bilanz nach zweieinhalb Stunden: Zwischen 490 und 520 Ermordete, darunter Kinder und Greise, die meisten sind Bauern mittleren Alters. Verluste auf amerikanischer Seite: keine.

Obwohl zwei Journalisten die Militäraktion begleiteten, versuchen die US-Militärs die Kriegsgräuel zu vertuschen. Erst als der Journalist Seymour Hersh auf Hinweise stößt, und Beteiligte interviewt, wird die Sache doch publik. Seinen ersten Bericht bietet er mehreren Magazinen an, darunter „Life“. Keines will ihn drucken. Das alles sei doch alltäglich im Vietnamkrieg, bekommt Hersh zu hören. Erst das Insistieren eines Freundes, der eine kleine Nachrichtenagentur leitet, bringt den Stein ins Rollen. Am 13. November 1969 erscheint ein Artikel über die Verhaftung des verantwortlichen Offiziers von My Lai in 35 Zeitungen gleichzeitig (unter anderem in der „New York Times“). Hersh erhält 1970 den Pulitzer-Preis.

•1972-1974: Die Washington Post und die „Watergate-Affäre“

Am Anfang steht ein Einbruch: Als am 17. Juni 1972 dem Wachmann Frank Wills auffällt, dass an eine Tür in einem Bürohaus des Watergate-Komplexes am Potomac River in Washington, wo sich auch die Wahlkampf-Zentrale der Demokratischen Partei befindet, aufgebrochen ist, beginnt ein Skandal, auf dessen Höhepunkt rund zwei Jahre später der Rücktritt des amerikanischen Präsidenten Richard Nixon stehen wird. Dazwischen liegen die Recherchen von Carl Bernstein und Bob Woodward, beide zu der Zeit Lokalredakteure der „Washington Post“.

Die Reporter werden hellhörig, als Verdächtige des Einbruchs Verbindungen zum Nachrichtendienst CIA offenbaren. Gegen harte Widerstände und trotz mehrerer Rückschläge decken Woodward und Bernstein ein System illegaler Wahlkampffinanzierung auf; es gibt enge, illegale Verknüpfungen zwischen dem Partei- und dem Regierungsapparat. Immer mehr Mitarbeiter Nixons geraten in den Sog der Ermittlungen: sein Wahlkampf-Chef und Ex-Justizminister John Mitchell, sein Stabschef Bob Haldemann, sein Berater John Ehrlichman. Sie und zahlreiche weitere Mitarbeiter werden im Laufe der Zeit angeklagt, es gibt einen Untersuchungsausschuss im Kongress, schließlich ein Amtsenthebungsverfahren gegen Nixon. Unter dem Druck tritt Nixon am 9. August zurück – als erster Präsident in der Geschichte der USA.

Woodward und Bernstein haben mit ihren Recherchen Geschichte geschrieben. Die Verfilmung des Falls 1976 („Die Unbestechlichen“) mit Robert Redford und Dustin Hoffmann in den Hauptrollen hat ihnen ein Denkmal gesetzt. So wie jetzt „Spotlight“ den Bostonern Reportern.