Dortmund. Thirza Bruncken inszeniert in Dortmund die Uraufführung „Aufzeichnungen aus einer Doppelhaushälfte" - und erntet vom Premierenpublikum begeisterten Applaus.

Die fünfköpfige Gruppe in eleganter Abendgarderobe zeigt von Anfang an Unruhe. Nervös hopsen die drei Männer und zwei Frauen auf aufblasbaren Plastiksesseln hin und her. Und wenn man schließlich als Gruppe durch Schinkels romantischen „Morgen” tobt (das Gemälde dient als Bühnenhintergrund), dann krallt man sich förmlich fest an diesem Nichts von Sitzmöbel.

Die Gegenwartsmenschen in Anna Behringers Stück „Aufzeichnungen aus einer Doppelhaushälfte”, das jetzt in Dortmunds Theater seine Uraufführung erlebte, sind getrieben von der Sehnsucht nach Harmonie und Schönheit, sehen für die eigene Existenz jedoch längst kein Fundament mehr, nur Luft und Leere.

Deprimierndes Gesellschaftsbild

Es ist ein deprimierendes Gesellschaftsbild, das die Autorin in mehr Monologen als Dialogen präsentiert. Was nur folgerichtig ist: Tiefer gehende Beziehungen sind längst abgelöst worden durch Kontakte, die nur noch Mittel sind zum Zweck des eigenen Weiterkommens. Auf den Punkt gebracht wird das alles von einer Dramatikerin, die an der Dortmunder Bühne in erstaunliche Anonymität gehüllt wird. Es gibt im Programmheft kein Bild, keine Vita. Die Suche im Netz läuft ins Leere, bei einer Adresse taucht immerhin ein Foto auf, das dann aber nur den verschmitzt lächelnden Dortmunder Schauspieldirektor Michael Gruner zeigt.

Der beweist mit dieser Uraufführung thematisches Gespür und künstlerischen Mut. Denn als Regisseurin fungiert hier mit Thirza Bruncken eine Frau, die in Dortmund vor drei Jahren das Publikum mit einem schizophrenen Faust samt nuttigem Gretchen konfrontierte – das hat Wunden hinterlassen. Die „Aufzeichnungen aus einer Doppelhaushälfte” hingegen finden in ihr eine ideale Interpretin, auch wenn sie die gelegentlichen Nebelstellen des Textes zusätzlich durch Rollensprünge ihrer starken Akteure verwirrt, auch wenn sie nicht wenige Situationen ins Absurde führt. Der Realität kommen sie dadurch eher näher.

Bruncken macht alles richtig

Bruncken entdeckt in den niederschmetternden Alltagsszenen einen Humor, ohne den man schier depressiv werden könnte. Da zeigt deutsche Faktenhuberei ihre hässliche Fratze, wenn Nachbarn über den zulässigen Abstand eines Baumes vom Nachbargrundstück streiten. Allein erziehende Mütter erkennen, dass ihre Kinder schon mit Schnoddernase vom Jugendamt als „verwahrlost” eingestuft werden, während andere Eltern sofort zum Therapeuten greifen, wenn der Sprössling im Kunstunterricht plötzlich ein Wildschwein malt. Wir erleben den erschütternden Monolog eines suizidgefährdeten Vaters, dessen innere Qual noch durch einen guttural entwickelten bayerischen Kunstdialekt potenziert wird.

Irgendwie macht Bruncken alles richtig in dieser Inszenierung einer von Eiseskälte befallenen Gesellschaft ohne Hoffnung, deren Metastasen auch die Kultur befallen: In einem bravourösen Monolog gibt Jakob Schneider einen selbstverliebten Filmemacher, der sich als deutscher Übermensch produziert. Unschwer erkennt man Florian Henckel von Donnersmarck – weil's sich Wort für Wort um authentischen Interviewtext handelt. Langer, begeisterter Applaus.