Berlin. . Das langjährige Ehepaar Joy (Toni Collette) und Alan (Steven Mackintosh) leiden unter Sexlosigkeit und wagen den Versuch einer offenen Beziehung.

Das Phänomen kennen wohl die meisten Menschen, die in langjährig Beziehungen sind: Was tun, wenn der stürmische erste Akt der Liebe passé ist und die Alltagsroutine die Erotik einkassiert? Therapeutin Joy (Toni Collette) und Lehrer Alan (Steven Mackintosh) stellen sich nach vielen Ehejahren mit drei inzwischen erwachsenen Kindern dem Problem ihrer Sexlosigkeit. Weil beide nicht auf Erotik verzichten wollen, diese zu zweit aber nicht mehr funktioniert, probieren sie eine offene Beziehung mit außerehelichen Affären. Das führt zu allerhand zwischenmenschlichen Verwicklungen, belebt die Ehe und fordert die Liebe heraus.

Britische Zurückhaltung

Die Koproduktion des britischen Fernsehsenders BBC mit dem Streaming-Dienst Netflix verhandelt die erotische Begierde innerhalb und außerhalb der Ehe und die Frage, ob Monogamie überhaupt erstrebenswert ist. Der Sex, der in jeder der sechs rund einstündigen Episoden vorkommt, wird allerdings mit britischer Zurückhaltung recht zugeknöpft dargestellt. Im Zentrum des vom „The Crown“-Autor Nick Payne geschriebenen Stoffs stehen die Befindlichkeiten der Figuren. Wie beeinflusst das Arrangement die Ehe und wie reagieren Außenstehende darauf?

„Wanderlust“ ist eine gefühlsbetonte Dramaserie. Im Mittelpunkt steht die von Toni Collette wunderbar nuanciert gegebene Joy. Eine Folge spielt fast komplett während einer ihrer Therapiesitzungen und klärt Hintergründe, die zuvor zwischen den Zeilen schwelten. Neben der offenen Ehe kommen auch die Romanzen der Kinder vor. Tom erlebt die erste Liebe, Naomi hadert mit ihrer lesbischen Identität, Laura datet einen Patienten der Mutter. So zeigt „Wanderlust“ verschiedene Facetten derselben Sache.

Die Inszenierung von Luke Snellin und Lucy Tcherniak konzen­triert sich mit übersichtlich arrangierten Szenen ganz auf die Auslotung der Charaktere. Wenn sich die Figuren draußen unterhalten, fährt die Kamera langsam vor ihnen her. Dialoge in Innenräumen finden in klassischen Schüssen und Gegenschüssen statt, wobei lange Gesprächspausen offenlegen, wie schwierig es sein kann, passende Worte zu finden.

Komplizierte Gefühlsmontagen

Zwischendurch kommentieren kurze Einschübe, die mal wie Tagträume, dann wie Erinnerungen oder Vorahnungen wirken, die komplizierten Gefühlslagen. Ein regelmäßig angewandtes Stilmittel sind Musikvideo-artige Parallelmontagen, die Gemeinsamkeiten und Kontraste zwischen den jeweiligen Erzählfäden herstellen.

Durch den Singer-Songwriter-Soundtrack mit Stücken von Cigarettes After Sex, Eurythmics oder La Femme, die oft abrupt enden und in der übernächsten Szene unter neuen Vorzeichen fortgeführt werden, gewinnt die dialog­lastige Serie eine eigene Note. Dass man dem Fluss gerne folgt, liegt aber weniger an der gediegenen Umsetzung als am glänzenden Ensemble.

Wanderlust
Sechs Episoden,
jeweils 60 Minuten, ab 19. Oktober
Onlinestreaming, Netflix
FSK k. A., Wertung: 4 von 5 Sternen