Neuharlingersiel. . Im Hafen von Neuharlingersiel freuen sich Urlauber an der Schifffahrtsgeschichte in Flaschen. Gebaut und gesammelt wurde alles im Ruhrgebiet.
„So“, fragt Herr Julius mit seiner Schiffermütze im knödelnden Tonfall des Ostfriesen, „und wie kriegen wir das Ding jetzt da rein?“ Das ist ja zumindest eine Frage aller Fragen: Wie kam der 6-Mast-Gaffelschoner in die 20-Liter-Pulle? Das einst längste Schiff der Welt durch einen engen Flaschenhals? „Der Jonny“, sagt der alte Museumswärter, „der hatte ein Auge.“ Und die Kinder im Buddelschiffmuseum von Neuharlingersiel, die machen gerade welche.
„Zerschlagen“, schlägt Laurin vor, aber Scherben zusammenkleben möchte der Zehnjährige nun nicht. Hat Jonny Reinert damals in Herne auch nicht gemacht. Der Mann war nie zur See gefahren, aber trotzdem der „weltbeste Buddelschiff-Bauer“. Zumindest, das sagt man über ihn. Einer, der zwei Stecknadelspitzen aneinanderbringen konnte, sagt in Neuharlingersiel Dieter Julius. „Ich steh selbst davor und staune, wie er das gemacht hat.“ Ein „ruppiger Typ mit Bratpfannen-Händen“ und Knast-Geschichte, sagt in Bochum Jürgen Landmann. Ihm gehören das Mini-Museum in Ostfriesland und die 70 Buddelschiffe darin.
Helmut Landmann träumte von der Seefahrt
Und das kam so: Sein Vater Helmut wollte einst ein Seemann werden, bekam schon als Junge ein erstes Buddelschiff geschenkt. Allein, es blieb sein einziger Kontakt zu den Weltmeeren, Helmut Landmann musste den Eisenwarenladen der Familie übernehmen. Aber er sammelte, alles, was er über die Schifffahrtsgeschichte finden konnte und auch dieses Buch, das er irgendwann Jonny Reinert gab – der dann alles nachbaute, vom Einbaum bis zum Atom-U-Boot. „Das Bauen war schon kompliziert“, sagt Jürgen Landmann, der die ganze Flotte erbte. „Aber die Schiffe in die Flasche reinzukriegen...!“ Reinert zerlegte die maßstabsgetreuen Werke wieder und klebte, knüpfte, takelte mit selbstgemachtem Werkzeug an langen Stielen im Glas.
Vor bald 50 Jahren kam die Flaschen-Flotte über den Landweg an die Küste, dorthin, wo die Familie Landmann so oft Urlaub machte und wo das Hotel Janssen am Hafen gerade einen alten Waschraum frei hatte. Hier gingen die Schiffe vor Anker, gegenüber vom Fisch-Imbiss, vor der Tür eine Tafel, die sagt: Heute ist Ebbe um viertel vor drei. In Bullaugen aus rotem Holz stehen ein Mississippi-Dampfer von 1886, eine Phönizische Galeere von 700 vor Christus, die „Capitana“, mit der Karl V. 1535 Tunis eroberte, der 5-Master „Preussen“, Julius’ Lieblingsstück.
Die „Victory“, das Flaggschiff von Admiral Nelson ist das größte, die „Titanic“ für Jugendliche das spannendste – der Rumpf hängt schief im Meeresspiegel, das sieht nur, wer in die Knie geht oder gleich klein ist. In einer Flasche sitzt ein Seemann, Vollbart, Pfeife und eine Buddel zwischen den Knien. Kein Typ wie Reinert, einer wie die Matrosen von einst, denen man nachsagt, sie hätten das Buddelschiff erfunden, damit sie mehr Rum trinken konnten. Tatsächlich soll das Basteln gegen die Langeweile gewesen sein, wenn nach dem Klarschiffmachen immer noch Flaute war. So lange wie bei Jonny Reinert dürfte das aber nie gedauert haben. Der, rechnet Dieter Julius, 72, trocken vor, brauchte auch mal 1200 Stunden oder 1500 pro Buddel, je nach Zahl der Segel und Seile.
Basteln mit Ferienkindern
Neue Schiffe baut in Neuharlingersiel keiner mehr, bis auf Julius und
seinen Kollegen Gerhard Zimmermann, der schon 80 ist und wunderbar Seemannsgarn spinnen kann. Julius fertigt im Winter Rohlinge aus Buchenholz, damit Ferienkinder kleine Buddelschiffe bauen können, morgen werden sie es wieder tun. Dann klappen sie ein winziges Segel ein, schieben das Schiffchen durch den Flaschenhals und ziehen es an einem langen Faden wieder hoch. Und sind so glücklich wie gerade Laurin. Der hat sein Holzschiff zerlegt, wieder zusammengesetzt und sogar den Mast aufgerichtet. „Damit“, sagt Dieter Julius, „der Bursche wieder in den Ausguck kann.“ Bloß, in eine Buddel will das Boot nicht passen. Wie das genau geht, der Wärter lacht verschmitzt, „wird auch nicht verraten“. Die Kinder sollen doch auch im Urlaub was zum Nachdenken haben.
Museum für Buddelschiffe
>>> AUFRUF AN DIE LESER
Zum Abschluss unserer kleinen Serie möchten wir von unseren Lesern wissen: Warum wollen Sie gar nicht weg? Wie kann man daheim eine schöne Zeit verbringen? Was ist dran an Ferien auf Balkonien?
Bitte schreiben Sie uns kurz, wieso Sie dieses Jahr nicht verreisen (wollen) und wie Sie es sich zuhause nett machen. Stehen vielleicht Ausflüge zu nie besuchten Zielen ganz in der Nähe an oder wollen die Kinder immer nur ins selbe Freibad? Wollen Sie lange aufgeschobene Besuche nachholen, Party machen oder einfach nur Zeit für sich allein genießen? Wir freuen uns auch über Fotos von glücklich Daheimgebliebenen – etwa beim Mittagessen im Schlafanzug unterm Sonnenschirm im Garten …
Wir werden möglichst viele Ideen für den Urlaub zuhause veröffentlichen – zum Abgucken und Nachmachen. Bitte schicken Sie uns Ihre Geschichte unter dem Stichwort „Balkonien“ und gern mit Foto, bis Ende dieser Woche an: WAZ, Redaktion Rhein-Ruhr, Friedrichstraße 34-38, 45128 Essen. Oder per Mail an: rhein-ruhr@waz.de.