Große Klappe, viel dahinter: Ein Kultkicker geht auf Lesetournee. Ein Gespräch über Nervosität, unvergessliche Anekdoten - und „Ich bin ein Star“

Es war eine Krux mit Ansgar Brinkmann. Der ehemalige Profifußballer verzauberte über viele Jahre gegnerische Abwehrreihen wie eigene Fans, stand sich abseits des Platzes aber zu häufig selbst im Weg. Unvergessen zum Beispiel seine Anrufbeantworter-Ansage „Bin bis 5 Uhr morgens in meiner Stammkneipe „Pane é Vino“ zu erreichen“ in seiner Zeit bei Preußen Münster. Erinnerungen aus seiner kurios verlaufenen Karriere teilt Brinkmann im Buch „Wenn ich du wäre, wäre ich lieber ich“ mit den Fans. Nun kommt er auf Lesereise (siehe Infobox) und nahm sich vorher Zeit für ein Gespräch mit Patrick Friedland.

Herr Brinkmann, zunächst einmal: Fünf Live-Termine alle zwischen WM und Bundesliga-Saisonstart. Eine ganz bewusste Terminplanung, um die fußballfreie Zeit sinnvoll zu nutzen?

Das war eher Zufall, darauf hatte ich keinen Einfluss. Wenn Anfragen kommen, fragt mich Organisator und Buchautor Peter Schultz, ob mir der Termin passt – Anfang August passte ganz gut in den Terminplan.

Wie kann man sich einen Live-Abend mit Ansgar Brinkmann und Peter Schultz vorstellen?

Nur eine normale Lesung zu halten, wäre uns zu einfach. Ich erzähle persönliche Erlebnisse, Peter behandelt alles aus journalistischer Sicht. Wir besprechen zusätzlich aktuelle Themen rund um Fußball, werfen aber auch einen Blick auf die Vergangenheit. Wer kommt, erhält Informationen, die so nicht in der Tagespresse stehen. Wer weiß, dass ich schon mal Jürgen Klopp als Zimmerkollege hatte, wird natürlich neugierig, was damals passiert ist. Die Leute lachen viel, das ist immer wieder schön mitzuerleben.

Tänzelt der weiße Brasilianer auch vor Publikum leichtfüßig durch seine Geschichten oder kämpft er mit der Nervosität?

Anspannung ist immer da. Jeder Standort ist ja ein bisschen anders. Aber ich kriege eigentlich immer alles auf den Punkt hin. Meine Empathie für bestimmte Situationen und Menschen kommt mir da durchaus zugute.

Wird das Publikum aktiv miteinbezogen? Sind weitere Nachfragen erlaubt bzw. erwünscht?

Wir spulen nicht unser Programm runter. Wenn jemand was Bestimmtes wissen möchte, soll er fragen. Ich beantworte alles.

Keine Scheuklappen?

Nein, davor habe ich wenig Angst (lacht). Leute, wir reden über Fußball. Fußball unterhält uns, nicht mehr und nicht weniger.

Gab es negative Reaktionen von ehemaligen Mitspielern auf das Buch?

Die Jungs, die erwähnt werden, hatten beim Lesen selber Spaß und wissen ja, wie ich ticke. Meine Mutter sagte immer: „Ansgar, wenn du dir selber schadest, ist es ok. Anderen schaden ist nicht so gut.“ Daran habe ich mich immer gehalten. Mir selber zu schaden, wird ja wohl noch erlaubt sein.

Ist ein zweiter Teil von „Wenn ich du wäre, wäre ich lieber ich“ denkbar? Haben Sie noch bislang unveröffentlichte Anekdoten auf Lager?

Viele Leute haben mich auf das Buch angesprochen und gesagt, was ich denn für ein super Fußballerleben hatte. Denen antworte ich dann immer, dass der Buchinhalt nur einem Streifschuss aus meiner Karriere gleichkommt. Ich habe noch Munition und die Leute zeigen an diesen Geschichten große Interesse.

Bereuen Sie irgendwelche Geschehnisse?

Da fällt mir nichts ein. Wenn mir junge Fußballer sagen, „Das würde in der heutigen Zeit als Fußballer gar nicht mehr gehen“, antworte ich immer: „Keine Sorge, das ging zu meiner Zeit auch nicht.“

Ein prägnantes Zitat aus dem Buch lautet: „Eine große Klappe gehört zum Profifußball dazu.“ Davon ist bei vielen Spielern in der heutigen Zeit nicht mehr viel zu spüren – wäre eine Karriere à la Ansgar Brinkmann mit all den Sprüchen und Aktionen überhaupt noch möglich?

Jemand wie ich würde in einem Nachwuchsleistungszentrum keine Woche mehr überleben. Das ist schade. Wir können über junge Leute keine Schablone legen, man muss denen Platz zum Atmen und für Kreativität lassen. Natürlich werden die Jungs aber gut betreut, vieles läuft besser als damals bei mir.

Wie lief es bei Ihnen ab?

Ich war zwei Jahre lang alleine und hatte eine Wohnung in Uerdingen. In zwei Jahren bei Bayer 05 hat mich niemand gefragt, was ich mache, wenn ich nicht beim Training bin. Die gaben mir zwei Paar Schuhe. Eine Kantine oder Mathe-Nachhilfe hatte ich nicht. Ich hatte 130 Mark zur Verfügung, am 26. eines Monats habe ich im Supermarkt Nudeln und Thunfisch geklaut. Ich glaube auch, dass die Kassiererin gerafft hat, dass ich die Nudeln unter der Jacke hatte.

Sehen Sie im heutigen Fußball, in Deutschland wie international, überhaupt noch irgendwo „echte Typen“? Gibt es jemanden, der Sie an Sie erinnert, vom Typ oder auch vom Spielerischen?

Da sind noch ein paar Jungs unterwegs, die Spaß machen. Kevin-Prince Boateng ist so einer. Und bei Luka Modric geht mir das Herz auf. Das ist noch ein echter Straßenfußballer, der ist Sechser, Achter, Zehner in einem und gewinnt dir pro Saison acht Spiele im Alleingang. Generell: Alles hat seine Zeit. Meine ist vorbei, jetzt sind andere dran, die sich in ganz anderen Umständen zurechtfinden müssen. Es fällt schon auf, dass alles sehr glattgebügelt ist. Irgendwann fragt der erste Reporter „Wie fühlen Sie sich?“ und der Spieler antwortet mit „Das müssen Sie den Trainer fragen.“ So weit darf es nicht kommen.

Apropos Fernsehreporter: Wann sehen wir Sie als Experten im Fernsehen?

Lust wäre da, offiziell angefragt haben ARD und ZDF noch nicht. Die wären aber gut beraten, wenn sie mich da einbauen würden.

Lieber bei Gerhard Delling oder bei Oliver Welke?

Ich würde mit beiden klarkommen. Hätte ich die Wahl, würde ich Delling nehmen. Der hat Empathie und den gewissen Humor, den man braucht. Wir hätten ein gutes Zusammenspiel zwischen Fachlichem und Leichtigkeit.

Ihr Fazit zur DFB-Elf bei der WM?

Das Sportliche und die Außendarstellung von Grindel war desolat. Das Auftreten war ideenlos, kraftlos, unkreativ, richtig schlecht. Auch die Situation rund um Özil und Gündogan hätte man vorher lösen müssen. Im Nachhinein in die Kerbe zu hauen, das man die beiden nicht hätte mitnehmen dürfen, zeigt, dass keiner beim DFB momentan Haltung zeigt. Das ist hochbedenklich.

Ein Wort zu Özil ...

Die Situation hätte man vorher lösen müssen. Im Nachhinein in die Kerbe zu hausen, zeigt, dass keiner beim DFB Haltung hat. Das ist hochbedenklich.

Was macht Ansgar Brinkmann eigentlich heute, wenn er keine Lesungen gibt oder an seiner 1Live-Radiokolumne arbeitet?

Ich arbeite im Fußballgeschäft, überwiegend hinter den Kulissen. Es gibt genügend Vereine, die mir vertrauen und berichten, dass sie einen bestimmten Spielertypen suchen – dann lasse ich mein Netzwerk spielen. Als Spielervermittler sehe ich mich nicht. Ich sammle keine Spieler und will mir nicht von einem 19-Jährigen anhören müssen, dass ihm der Rasen bei Verein x zu hoch ist.

Sie waren im Januar im Dschungelcamp. Wie blicken Sie mit etwas Abstand darauf zurück?

Es hat Spaß gemacht. Es war ein Erlebnis, Dr. Bob kennenzulernen. Mein Ziel war, aus diesem Format normal zurückzukommen, das ist mir gelungen. Was ja eigentlich schon eine Kunst ist. Ich würde es auch nochmal machen.

Wen würden Sie mitnehmen?

Wenn ich die Truppe zusammenstellen dürfte, würde alles eskalieren. Jürgen Klopp wäre ein Highlight. Als klar war, dass ich ins Camp gehe, bekam ich eine SMS von ihm. „Weltklasse, mein Freund. Ich gucke jede Folge“, stand da.

Hand aufs Herz: Findet man Sie wirklich ab und an noch im „Pane é Vino“? Wenn ja, auch mal bis 5 Uhr morgens?

Ich war jetzt länger nicht mehr da, aber immer wieder gerne. Und dann wird’s auch gerne mal länger ...

>>>INFO: Ansgar Brinkmann auf Lesereise

Termine: 3.8. Essen (11Freunde Bar), 4.8. Mönchengladbach (Theater im Gründungshaus), 9.8. Düsseldorf (Bar95), 13.8. Wesel (Scala Kulturspielhaus), 14.8. Bocholt (Vogelhaus).

Karten gibt’s ab ca. 17 €.