Essen. In Erinnerung blieb Bernhard Grzimek, der am 24. April 100 Jahre alt geworden wäre, vielen nur als Fernsehonkel - zu Unrecht. Als erster hob er den Umweltschutz in das Bewusstsein der deutschen.
Je nach eigenem Alter hat man ihn als gestandenen Mittvierziger, ergrauten Professor oder silberhaarigen Großvater vor Augen. Von 1956 bis zu seinem Tod 1987 wünschte Bernhard Grzimek seinen „lieben Freunden“ „einen guten Abend“. Der Freundeskreis bestand seit den Sechzigern regelmäßig aus über zehn Millionen Bundesdeutschen, die am Dienstagabend in der ARD seinen „Platz für Tiere“ besuchten.
Man staunte, welches wilde Tier der Frankfurter Zoodirektor diesmal wieder ins kärgliche Aufnahmestudio geschleppt hatte und lauschte seinem pastoralen Singsang. Loriot verewigte dieses 175-mal gezeigte Fernsehritual einer ganzen Generation mit im Schnitt sagenhaften 70 Prozent Sehbeteiligung. Er stellte in seiner parodistischen Hommage dem zerstreuten Professor als „possierliches Tierchen“ eine Steinlaus zur Seite.
Ein früher Al Gore für Deutschland
Grzimek ist im „Platz für Tiere“ ein fesselnder Erzähler mit leiser Stimme, der das Wissenschaftliche mit dem Alltäglichen und Amüsanten vermischt. Das deshalb im kollektiven Gedächtnis verbliebene Image des gutmütigen Fernsehonkels wird ihm aber ganz und gar nicht gerecht. Zum 100. Geburtstag und 22 Jahre nach seinem Tod gibt es einiges wiederzuentdecken. Das grünumrandete Hochglanzmagazin „Geo“ erklärte ihn als Wegbereiter des Umweltschutzes, sogar zum „frühen Al Gore für Deutschland“.
Tatsächlich hatte der Populist Grzimek den Naturschutz als erster ins deutsche Bewusstsein gerückt. 1965 schockte er die Öffentlichkeit mit brutalen Aufnahmen vom Robbenschlachten in Kanada, und die Unappetitlichkeiten des Lebens der von ihm so genannten „KZ-Hühner“ in der Legebatterie hatte vor ihm auch keiner der Fernsehnation serviert. Bei ihm krepierten Flamingos zu Tränen rührend vor laufender Kamera, und direkt danach rief Herr Professor mit dem Äffchen im Arm zu Spenden für die bedrohte Tierwelt auf.
Meister der Suggestion
„Sankt Bernhard“, wie ihn die Kollegen unter den Tierfilmern wegen seines Tonfalls nennen, ist ein Meister der Suggestion. 1971 wird er fast schon folgerichtig unter Willy Brandt der erste Bundesbeauftragte für Naturschutz, scheitert aber schnell in der Politik. Er initiiert den ersten deutschen Nationalpark im Bayerischen Wald. Zusammen mit Nobelpreisträger Konrad Lorenz und dem ersten grünen TV-Journalisten Horst Stern gründet er 1975 den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschlands (BUND).
Hinter dem Fernsehonkel steckt jedoch nicht nur ein erfolgreicher Zoodirektor, Tierfilmer und Umweltschützer, sondern auch ein kantiger Charakter. Geboren im oberschlesischen Neiße im heutigen Polen, wächst er mit Tieren auf und ist schon als Kind ein Experte für alle Arten von Geflügel. Mit einer kleinen Zucht verdient der Junge, seines großen Kopfes wegen „Kürbis” genannt, erstes Geld.
Mit Glück übersteht er die Entnazifizierung
Gefühlsduseligkeit im Umgang mit Tieren ist dem bekennenden Atheisten zeitlebens fremd. Mit Menschen allerdings auch. Seltsam teilnahmslos äußerst er sich so zum Tod seiner ersten Frau Hildegard und dem Freitod seines Adoptivsohns Thomas.
Für die Karriere tritt er in der Nazi-Zeit heimlich in die NSDAP ein und wird als Tierarzt bewusst Veterinär-Offizier der Wehrmacht. Ein echter Nazi ist er keinesfalls. Aber Grzimek überlässt nichts dem Zufall und pflegt gute Kontakte. Mit Tieren vom Huhn bis zum Wolf wohnt die Familie in Berlin unter einem Dach.
Grzimek liebt Süßigkeiten, Sonnenbäder, kindische Scherzartikel, die deutsche Sprache, den Zirkus – und Frauen. Der hochaufgeschossene Herr Doktor ist im Leben oft ein Drahtseilkünstler. Auch während der Schwangerschaft seiner Frau pflegt der eitle Pfau Grzimek seine langjährige Affäre, aus der ebenfalls zwei Kinder hervorgehen. Direkt nach Kriegsende fällt ihm die Leitung des Zoos in Frankfurt in den Schoß.
Mit Glück und Meineid übersteht er die Entnazifizierung. Hier liegt der Grundstein für eine Karriere, die aus dem Autor des „Kleinen Geflügelbuches“ einen der bekanntesten Deutschen der Wirtschaftswunderzeit macht.
Disziplinierter Workaholic
Grzimek ist ein disziplinierter Workaholic, der um halb sieben Mitarbeiter aus dem Bett telefoniert. Was dem 1945 zerstörten Zoo Besucher bringt, wird gemacht, organisiert, gekauft. Was auf dem Medienmarkt neu ist, wird für seine Zwecke eingesetzt: Fotogeschichten für die Illustrierten, Radiobeiträge, Filme, für die der schlechte Autofahrer auch noch Fliegen lernt.
Längst hat er sein Herz an Afrika verloren. Der Oscar-prämierte Dokumentarfilm „Serengeti darf nicht sterben“ setzt 1959 seiner Liebe zum Kontinent der Wildtiere ein Denkmal. Und seiner Liebe zum jüngeren ehelichen Sohn Michael, der ihm in allem so ähnlich ist und der bei den Dreharbeiten verunglückt. „Der einzige wirkliche Freund“, sagt Grzimek. Fast 20 Jahre später heiraten er und Michaels Witwe Erika.
Grzimek erleidet 1987 beim Zirkusbesuch einen Herzinfarkt. Neben seinem Sohn lässt er sich begraben, mit bestem Blick auf sein Lebenswerk, den Serengeti-Nationalpark.
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