Essen. Die Kölner “Tatort“-Kommissare Ballauf und Schenk mussten zuletzt einiges verpacken. Gerade ist ihre Assistentin Franziska umgebracht worden, jetzt haben sie es mit einer schlimmen Familientragödie zu tun. Reicht “Der Fall Reinhart“ an den letzten Kölner “Tatort“ heran?
Der Kölner „Tatort“ hat in diesem Jahr mit dem Geiseldrama „Franziska“ Maßstäbe gesetzt, mit einem atmosphärisch dichten Kammerspiel, bei dem die Luft vor Spannung vibrierte. Kann „Der Fall Reinhardt“ (Sonntag, ARD, 20.15 Uhr) da anknüpfen?
Das Intro des Krimis jedenfalls ist sensationell. Düster die Atmosphäre, düster das Thema: Drei Kinder sind bei einem Brand ums Leben gekommen. Die Kamera zeigt Löscharbeiten, die Polizei vor Ort. Drei Minuten lang sprechen Bilder und Gesichter, sie sprechen für sich, Dialog ist überflüssig. Die Einführung ist spannend, weil sie unausgesprochen die wichtigen Fragen in diesem Film aufwirft: Wer war’s? Und vor allem warum? Die ersten drei Minuten sind ein kleines Meisterwerk. Kameramann Holly Fink und Benjamin Hembus im Schnitt entwarfen eine Szene, die atmosphärisch packt, weil sie all das in Bildern zeigt, wofür in schlechten Filmen bloße Worte stehen.
Der eigentliche Krimi beginnt danach. Der Brand, so scheint es, gehört zu einer Feuer-Serie im Viertel. Zündelte ein Brandstifter? In der Nähe des abgebrannten Hauses finden Schenk und Ballauf die Mutter der toten Kinder, Karen Reinhardt. Sie scheint, geschockt, neben sich zu stehen, blickt mit leeren Augen in die Nacht und schreit wie von Sinnen: „Mein Mann!“ Den Tod ihrer Kinder will sie nicht wahrhaben. Theater-Star Susanne Wolff spielt die Ehefrau und Mutter mit beklemmender Intensität.
Bald wird klar, dass der Brand nicht der Anfang, sondern eher das Ende einer Familientragödie war. Drehbuch-Autorin Dagmar Gabler erzählt eine Sozial-Horrorgeschichte, bei der die gesellschaftliche Angst vor dem sozialen Absturz individuelle Züge erhält. Gerald Reinhardt hatte einen gut bezahlten Job verloren. Er kam mit der sozialen Degradierung nicht zurecht, wurde aggressiv, flüchtete in den Suff, streunte herum. Ben Becker ist die ideale Besetzung für diese Rolle. Als Gerald Reinhardt verströmt er die Aura unterschwelliger Wut, zugleich lässt er aber auch Angst, Hilflosigkeit, Verunsicherung durchschimmern.
Seine Frau versuchte einerseits gegenüber den Kindern die Scheinwelt einer heilen Mittelklasse-Familie aufrechtzuerhalten und andererseits ihren Mann vor dem Schlimmsten zu bewahren. Erfolglos. Irgendwann war er weg.
Das Geheimnis des Kindermädchens
Wo war er, und wo ist er? Diese Fragen tragen den Film über weite Strecken – bis die Fahnder Gerald Reinhardt finden. In Holland. Dort lebt er zusammen mit einer anderen Frau (Elzemarieke de Vos). Nicht nur das: Sie erwartet ein Kind von ihm. Was die Sache nicht eben einfacher macht: Gerald Reinhardt turtelte einst auch mit dem Kindermädchen der Familie, gespielt von Friederike Linke.
In der zweiten Hälfte lässt die Spannung des bis dahin vorzüglichen Krimis nach. Das handelsübliche Mörderraten bremst das Tempo, dämpft die Spannung. Dennoch lohnt es sich bis zum Ende dran zu bleiben, denn das Finale ist furios. Zur Lösung des Falls gehört nicht nur ein Name, sondern, mehr noch, ein schlüssiges Motiv. Und das präsentiert der Krimi: In einem Kinderverhörzimmer mit geschrumpften Möbeln enden die Szenen einer Ehe mit einem Geständnis, das aufwühlt, gerade weil es mit abgestumpftem Fatalismus vorgetragen wird. Die Szene ist derart stark, dass sie ohne emotionalisierende Musik auskommt.