Essen. Geleckte Stiefel und glatte Kandidaten bei „The Voice of Germany“: Auch wenn die Jury vor den Kandidaten auf die Knie geht und Samu Haber Stiefel küsst, stehen in der dritten Staffel dank ihres Unterhaltungswertes die Coaches weit mehr im Mittelpunkt als die Talente.
Für Samu Haber geht es bei "The Voice of Germany" ganz nach unten, auf die Knie, er beugt den Hals und senkt den Kopf. Und küsst die hellbraunen Stiefel von Tiana Kruskic. Der finnische Coach hatte nicht für sie auf den Buzzer gedrückt, sein Stuhl hatte sich nicht für sie umgedreht – doch als sie nach ihrer rauchigen Performance von „Try“ auch noch kurz unplugged ein paar Liedzeilen hinterherkratzt, bereut er seine Entscheidung.
Die Theaterpädagogin landet im Team von Nena – „das hat mich richtig vom Sockel gehauen, du bist so eine richtige Rockröhre aus den Siebzigern“, sagt die. Was aber von diesem Auftritt aber mindestens genauso hängenbleibt wie das Lob, war das Lederlecken von Samu Haber.
"The Voice of Germany" braucht keine Kandidaten im sexy Outfit
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Ja, sie müssen hampeln und strampeln, die Coaches. Der Raum, den ihnen die Show dafür gibt, zwingt sie beinahe dazu. Bei der zweiten Blind Audition von „The Voice of Germany“ stehen vor den Juroren wieder einmal begabte Sänger und Sängerinnen. Das tun sie ja immer.
Anders als andere Castingformate braucht „The Voice of Germany“ keine freibauchigen, nicht-bauchfreien Mädels, die der Jury-Patriarch mit einem Autoaufkleber-Spruch nach Hause schickt, keine gelhaarigen Hampelmänner, die man bis zur vierten Runde durchschleppt, weil sie „halt irgendwie schon so ein Typ“ sind. Stattdessen entscheiden Nuancen, Timbres, Potenzial, das ein Coach sieht und ein anderer vielleicht nicht.
Trotz der Harmonie muss es auch Verlierer geben
Die Dramaturgie einer Sendung bei "The Voice of Germany" ist deshalb traditionell harmonisch-gutmütig – auch wenn es in dieser Staffel nur noch vier statt sechs Liveshows gibt, in der das Team zusammengesammelt werden kann und sich dadurch der Druck etwas erhöht. Außerdem können diesmal die Juroren in der Showphase nach den Auditions die Talente ihrer Kollegen abwerben.
Am Freitag ist „The Voice of Germany“ aber so minimal destruktiv, wie eine Sendung nur sein kann, bei der zwingend auch mal jemand verlieren muss weil am Ende sowieso nur Einer gewinnt: Bis auf den 20-jährigen Patrick Schober, der mit seiner Gitarre einsam auf der Bühne steht, und die Sängerin Sina Rösener, die nach dem neuen Konzept hinter einem Vorhang auch vor dem Publikum verborgen bleibt, kommen alle vorgestellten Künstler in einem Team unter.
Samu Haber besorgt sich die Telefonnummer von Patrick Schober
Und selbst der Abschied der beiden nicht-verpflichteten geht nicht geräuschlos aus Richtung der Jurystühle ab: „Das war Mindfuck“, stammelt Samu Haber nach dem intensiven klassischen Gesang von Rösener mit einer Stimme, die klingt wie dunkelrot gefärbte Haare und schwarze Netzstrumpfhosen. Zum Abschied in der "Blind Audition" bei "The Voice of Germany" wird sie nochmal geknuddelt von Alex von "The BossHoss".
Und als Patrick Schober gehen muss, stellt sich der Finne Samu Haber mit der Klampfe neben ihn, spielt mit ihm seinen eigenen Erfolgssong „Fairytale Gone Bad“ und fragt ihn danach nach seiner Telefonnummer. „I’ll give you a ring, let’s make some music.“ – „Ich rufe dich an, lass uns zusammen ein bisschen Musik machen.“
Samu Haber lässt "The BossHoss" alt aussehen
Schon bei der ersten Kandidatin der zweiten "Blind Audition", Katharina Schoofs, dreht besonders Haber auf, der als Nachfolger des irischen „Reamonn“-Sängers Rae Garvey als Coach angefangen hat. Nachdem sie das deutsche Lied „Irgendwo Anders“ gesungen hat, erklärt er: „Ich verstehe nicht, was du singst, aber ich verstehe dich hier“ – und klopft wild, ach was: hämmert sich mit einer Holzhackgeste auf die Brust, irgendwo dort, wo das Herz schlägt. (Was am Ende nicht ausreichen soll: Sie will sich lieber von Max Herre trainieren lassen – dem neuen nachdenklichen Deutsch-Rap-Poeten im Team, nachdem Xavier Naidoo nicht mehr dabei ist.)
Alex und Sascha von The BossHoss plustern sich empört auf, als der Jury-Neuling ihnen Chris Schummert wegschnappt: Der hat bei einer Sendung einmal in der Pause vorsingen und ist jetzt dabei, um „mal zu sehen, wo das hinführt“. Nun überzeugt er mit „Pumped Up Kicks“ die Coaches. „Wir fahren nach Nashville ins Studio“, verspricht Haber ihm dafür, dass er in sein Team kommt.
Gelbe Gummistiefel bei "The Voice of Germany"
Bei Philip Bölter, einem 25-Jährigen mit flusiger Wuselfrisur, stellt er neben dem Erfolg bei "The Voice of Germany" auch Besuche in „den besten Studios in Hollywood, Stockholm und London“ in Aussicht, wenn er sich für ihn entscheidet. Bölter, der vorher Ryan Sheridans’ „The Dreamer“ souverän heruntergerockt hat, fühlt sich von The BossHoss mehr angesprochen, doch Schummert entscheidet sich tatsächlich für den Nashville-Besuch im Stil von Johnny Cash und den Finnen als Coach – und die Cowboyhutträger hadern damit, dass ihnen jetzt „die Countrynummer abgenommen“ wurde.
Erst die Isländerin Thorunn Egilsdottir gibt dem Übergewicht der Starjury von "The Voice of Germany" endlich Contra auf einer anderen Ebene als der musikalischen: In gelben Gummistiefeln, mit einem explodierten schwarzweißen Blattsalat aus Stoff als Deko auf dem Kleid und einem schwarzen Kohlestrich quer überm Gesicht björkt sie sich durch ihre Performance. „Ich weiß, ich seh’ aus wie ein Waschbär“, sagt sie. Damit und mit ihrem entrücktem Singstimmchen kommt sie in das Team von Max Herre.
Alex von "The BossHoss" - treudoofer Kommentar, aber ehrlich
Und sie entlockt sozusagen im Vorbeigehen noch Alex von The BossHoss einen der wenigen Momente, die weder konkurrenzgeschwängert noch überkandidelt erscheinen, wie viele andere, in denen das Jeansduo sich im roten Jurystuhl fläzt, die Schuhe auf der Sitzfläche: Er läuft zu ihr, betrachtet die schwarze Malerei, steht vor ihr mit leicht bräsigem, aufschauenden Blick, wie ein Dreizehnjähriger in der Schuldisko vor dem älteren Mädchen, in das sich alle aus seiner Klasse verlieben, und sagt: „Aaaaba...Du bist voll hübsch!“ Ziemlich treudoof klingt das. Aber auch sehr ehrlich.