Essen. „Sie sind aufgedreht, als hätten sie vor der Sendung was geraucht“, beschimpft SPD-Chef Sigmar Gabriel Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen in Günther Jauchs Talk-Runde. Außer verbalen Tiefschlägen hatte die Sendung am Sonntag inhaltlich nicht viel zu bieten.

Man hört vor lauter Politikern die Inhalte nicht mehr – so lässt sich zusammenfassen, was am Sonntagabend das parteipolitische Spitzenpersonal in Günther Jauchs Polit-Talk in der ARD ablieferte. Da wurde wild und vor allem vollkommen durcheinander aufeinander eingeredet. Jeder fiel jedem ins Wort, und zum Teil verstand der Zuschauer nicht mehr, wer dort jetzt gerade was sagte.

Geladen waren zu der aufgeweckten Runde Sahra Wagenknecht (Linke), Siegmar Gabriel (SPD), Katrin Göhring-Eckardt (Grüne), Ursula von der Leyen (CDU) und Daniel Bahr (FDP). Und die lieferten sich einen verbalen Schlagabtausch, der sogar Günther Jauch zwischenzeitlich zu viel zu sein schien.

„Irgendwann möchte ich auch mal dazwischen“, meldete sich der Moderator zu Wort, während Göring-Eckardt und von der Leyen sich über Leiharbeiter stritten. „Nicht mehr Mindestlohn jetzt“, flehte Jauch die Grüne-Spitzenkandidatin an einer anderen Stelle an.

Parteien drehen sich vor allem um sich selbst

Das letzte Wort gönnte man dem Moderator dann doch, nachdem Göring-Eckardt vorgeschlagen hatte, alle noch mal in die Sendung einzuladen, und Jauch antwortete lächelnd und schloss die Talkrunde mit: „Das möchte ich sowohl unseren Zuschauern als auch mir als auch dem Rest der Welt nicht jeden Sonntag zumuten.“

Eine Woche vor der Bundestagswahl wurde bei Jauch eines zum wiederholten Male klar: Die Parteien drehen sich vor allem um sich selbst. Auf eine Schuldzuweisung folgte die nächste. Ganz nach dem Motto: Wer hat wann welchen Vorschlag im Bundestag oder Bundesrat blockiert und ist nun im Wahlkampf doch dafür?

Inhaltlich hatte die Sendung nichts Neues zu bieten. Jeder Politiker zitierte aus seinem Parteiprogramm. Sätze, die die Wähler, in den letzten Wochen immer wieder gehört haben. Weniger Aspekte und ein klarer roter Faden hätten die Talk-Runde vermutlich besser strukturiert So artete die Sendung leider zu oft in ein heilloses Politiker-Stimmen-Gewirr aus.

Wagenknecht bietet sich Gabriel als Koalitionspartnerin an

Gabriel und Bahr stritten sich ergebnislos, wer mehr außenpolitische Kompetenz hat – Steinbrück oder Westerwelle. Göring-Eckardt und von der Leyen lieferten sich ein Duell, wer Familien mehr oder weniger entlaste. Und dann stimmten wieder alle fünf Spitzenpolitiker ein und redeten aufeinander ein – während der Wähler vor dem Fernseher saß und kein Wort verstand.

 Irgendwann war es sogar Gabriel zu turbulent und er ging von der Leyen an: „Sie sind aufgedreht, als hätten sie vor der Sendung was geraucht.“ Verbaler Tiefschlag ohne Tiefgang. Die CDU-Frau schimpft zurück: „Sie müssen nicht von sich auf andere schließen.“ Was dem Kanzler-Duell an Elan und Spritzigkeit fehlte, war in dieser Talkrunde zu viel vorhanden.

Wagenknecht bot sich Gabriel vehement als Koalitionspartnerin nach der Wahl an – der SPD-Mann wollte aber nicht. Von der Leyen bot Bahr ihr Mitleid für das FDP-Desaster bei der Bayernwahl an – auch der Liberale wollte das nicht. Die Bundesarbeitsministerin legte ihrem Kollegen die Hand auf den Arm und sagte: „Ich glaub, ich muss dem Daniel Bahr mal Mut machen.“ Der Bundesgesundheitsminister antwortete: „Das brauchen Sie nicht, als FDPler ist man einiges gewohnt.“

Braucht die FDP Leihstimmen von CDU-Wählern?

Herrscht da Harmonie bei Schwarz-Gelb vor der Wahl? Nicht ganz, denn als es um eine mögliche Leihstimmen-Kampagne ging, die die FDP in den Bundestag retten könnte, war jeder der beiden Minister wieder sich selbst am nächsten. Von der Leyen meinte: „Die FDP braucht keine Mitleidsstimmen.“ Bahr hätte aber schon gerne Zweitstimmen von Unionswählern.

Und während der Gesundheitsminister einen geknickten Eindruck machte, als es um die Bayernwahl ging, flammten auf der anderen Seite des Stuhl-Halbkreises bei Sigmar Gabriel Hoffnungen aus. Die Sozialdemokratie habe, nach dem Vorbild der CSU in Bayern, die Chance, am 22. September unzufriedene Ex-Wähler wieder zu gewinnen.

Worum ging es eigentlich in der Sendung? Was die Bayernwahl für die Bundestagswahl bedeute, wolle man diskutieren, erklärte Jauch zu Beginn der Runde. Außerdem solle darüber gesprochen werden, wie ehrlich und kantig man als Politiker im Wahlkampf sein dürfe.

Beim letzten Aspekt hatte Peer Steinbrück seinen Auftritt – beziehungsweise das Stinkefinger-Cover des Magazins der Süddeutschen Zeitung. Darf ein eventuell künftiger Bundeskanzler sich so in der Öffentlichkeit darstellen? Bahr fand, Steinbrück habe sich nicht im Griff. Gabriel verwies darauf, dass es sich um ein ironisches Interview gehandelt habe. Göring-Eckardt wich der Frage aus. Und Ursula von der Leyen wollte lieber über was anderes reden, als über Steinbrücks Mittelfinger: „In acht Tagen ist Bundestagswahl. Es geht hier nicht um Germany's next Topmodel - Bild haben oder nicht haben.“

Es geht eher darum: Stimme haben oder nicht haben. Und dafür muss sich das politische Spitzenpersonal in der letzten Woche vor der Bundestagswahl noch mehr ins Zeug legen, als am Sonntag bei Jauch geschehen.