Essen. Bei Günther Jauch durfte Wettermoderator Jörg Kachelmann seine missverständlichen, ja teilweise haarsträubenden Thesen über Vergewaltigungsvorwürfe und Opfer-Abos einem Millionenpublikum präsentieren. Für echte Erkenntnisse fehlten Jauch und den Experten die Grundlage der Wahrheit.

Nach dem Freispruch im Vergewaltigungsprozess um Wettermoderator Jörg Kachelmann ist die Verwirrung noch größer, als je zuvor. So schien es zumindest bei Günther Jauch. „Kachelmanns Fall - Was ist ein Freispruch wert?“ lautete das Thema der Diskussion, an der neben Kachelmann und seiner Ehefrau Miriam auch ein Boulevardjournalist und zwei Rechtsexperten teilnahmen. Wer ist jetzt wirklich Opfer, wer Täter?

Ein Satz kennzeichnet das Dilemma dieser Talkrunde: „Das sagen Sie!“ (Jauch zu Kachelmann: „Dass es die Tat nicht gegeben hat, das sagen Sie!“) Denn den fünf Gästen und Moderator Günther Jauch fehlte ganz einfach die Grundlage, um zu echten Erkenntnissen gelangen zu können: Hat Jörg Kachelmann seine Geliebte Claudia D. nun vergewaltigt, oder nicht? Und wenn nicht, war er dann selber ein Opfer von Behördenwillkür, so wie Kachelmann in seinem autobiografischen Buch „Recht und Gerechtigkeit“ behauptet?

Kachelmann führt einen Kreuzzug gegen das deutsche Rechtssystem

Klar ist: Der Wettermoderator will sich mithilfe seines Buches mit dem deutschen Rechtssystem als solchem anlegen. Sein Freispruch vor der großen Strafkammer des Landgerichts Mannheim im Mai 2011 sei ein „Freispruch zweiter Klasse“ gewesen, weil die Richter darin ausdrücklich betonten, dass sie von der Unschuld Kachelmanns nicht überzeugt seien und das Urteil somit auf dem Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ beruhe. Ein Versuch der Richter und der Staatsanwaltschaft, den enormen Aufwand des Prozesses zu rechtfertigen, findet Kachelmann: „Das erbärmliche Mannheimer Gericht möchte seine Haut retten.“

Unterstützung erhält er bei seinem Kreuzzug von seiner Frau Miriam, die ihn während des Prozesses heiratete und an dem Buch mitgeschrieben hat. Sie habe niemals geglaubt, dass an den Vergewaltigungsvorwürfen etwas Wahres dran sein könnte, erklärte sie gegenüber Günther Jauch. Beide finden, dass Kachelmann ein Opfer ist, und wollen mit dem Buch anderen Opfern von Falschbeschuldigung helfen. Die Mission des Wettermoderators reicht also angeblich viel weiter, als einfach nur ein bisschen Rache an seiner Ex-Geliebten und den Behörden zu üben.

„Staatsanwälte und Richter sind es nicht gewöhnt, mit Promis umzugehen“

Was Jörg Kachelmann weiter beklagt sind die redefreudigen Staatsanwälte und Richter, die brisante Informationen und sogar ganze Abschnitte der Ermittlungsakte an die Medien weitergegeben haben sollen. Dieser Umstand ist wohl der einzige, den alle Talkgäste gleichermaßen anerkennen konnten. Besonders eifrig kritisierte Gerhart Baum, ehemaliger Bundesinnenminister, diese „Durchstecherei“ bei Gerichten.

Auch der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgericht, Winfried Hassemer, musste eingestehen, dass Gerichten insbesondere im Umgang mit prominenten Angeklagten oft Fehler passieren: „Staatsanwälte und Richter sind es nicht gewöhnt, mit Promis umzugehen.“ Daher plädierte Hassemer dafür, dass Gerichte, bei denen vertrauliche Informationen durchsickern und einer der Beteiligten so einen Nachteil erleide, für diese Fehler haften müssten. Schließlich führte im Fall Kachelmann diese Mischung aus Informationsscheibchen, einem mutmaßlichen Täter, der bekannt ist, und der Neigung zur Vorverurteilung von Seiten der Medien und der Öffentlichkeit dazu, dass offenbar niemand mehr so genau wusste, wo das Recht aufhört und das Unrecht beginnt. Oder anders herum.

Kachelmanns peinliche These vom „Opfer-Abo“

Ein Umstand, den Boulevard-Journalist Hans-Hermann Tiedje nicht anerkennen konnte. Seiner Meinung nach hat Kachelmann verdient, dass sein Image nach dem Prozess trotz Freispruchs Schaden genommen hat. „Sie haben gelogen, am laufenden Band. Das ist nicht strafbar, sondern vielleicht einfach nur ein mieser Charakter“, wirft er Kachelmann bei Jauch vor.

Ob Jörg Kachelmann schuldig oder unschuldig ist, wird wohl ein Geheimnis zwischen ihm und seiner Ex-Geliebten und Anklägerin bleiben. Was seiner Mission, Falschbeschuldigungen härter zu ahnden, wohl im Weg stehen wird, sind die missverständlichen, ja teilweise haarsträubenden Thesen, die er in seinem Buch aufstellt. So sollen Frauen im Falle eines Vergewaltigungsvorwurfes ein „Opfer-Abo“ haben. Soll heißen: Mit Rücksicht auf die Frau würden solche Anzeigen weniger kritisch von den Behörden hinterfragt, was absichtlich falschen Beschuldigungen nur Vorschub leiste, erklärte Miriam Kachelmann.

Wen es bei einem Vergewaltigungsvorwurf zu schützen gilt, das mutmaßliche Opfer oder den mutmaßlichen Täter, ist eine kritische Frage, die auch die Rechtsexperten in der Jauch-Runde, Gerhart Baum und Winfried Hassemer, nicht eindeutig beantworten wollten. Nur: Wenn sich Vergewaltigungen schon so schwer beweisen lassen, wie sieht es dann erst mit Falschbeschuldigungen aus? Die Lösung dafür sollte man wohl besser woanders suchen, als in Jörg Kachelmanns Buch.