Erfurt/Leipzig. Gehörlose in Ostdeutschland müssen bald auf ein Nachrichtenformat verzichten. Die MDR-“Länderzeit“ wird am 29. April eingestellt - das ist das Aus für die Gebärdensprach-Übersetzung von Regionalnachrichten.

Wer in diesen Tagen beim Mitteldeutschen Rundfunk in der Warteschleife hängt, bekommt ungefragt Unterstützung angeboten. "Wir helfen Ihnen beim Umstieg auf digitalen Empfang", sagt eine Stimme und liefert die Telefonnummer einer Hotline gleich mit. Für Rundfunkstationen in ganz Deutschland ist das Ende des analogen Satellitensignals Ende April seit Monaten ein beherrschendes Thema.

Tenor: Der Umstieg auf Digital sei ganz einfach und bringe keine Nachteile mit sich. Tausende Gehörlose in Mitteldeutschland jedoch fürchten, diese Ankündigung könne sich für sie als leeres Versprechen erweisen.

Hintergrund dafür ist die Einstellung der MDR-Nachrichtensendung "Länderzeit" am 29. April wegen der technischen Umstellung. Die Sendung hat für viele Gehörlose ein ganz besondere Stellung: Seit 1998 wird sie als eine der wenigen im deutschen Fernsehen auch in die Gebärdensprache übersetzt. "Bei der 'Länderzeit' handelt es sich um eine eigens für den analogen Satelliten produzierte Sendung", begründet der MDR-Fernsehdirektor Wolf-Dieter Jacobi.

"Mit der Abschaltung des analogen Satellitensignals in Deutschland entfällt auch der Verbreitungsweg für die 'Länderzeit' und damit auch dieses Zusatzangebot."

Lange Lobbyarbeit für Übersetzung vor 15 Jahren

Alfons Rogge ist einer derjenigen, der Mitte der 1990er Jahre für diese Übersetzung kämpfte. Damals, erzählt Rogge, sei er zu Fernsehleuten ebenso wie zu Politikern gegangen und habe für das Dolmetschen der Sendung geworden. "Wir Gehörlose wollen doch auch wissen, was in unserer Region passiert", sagt er. Rogge, der im Eichsfeld wohnt und Vorsitzender des Verbandes der katholischen Gehörlosen Deutschlands ist, schätzt, dass in den drei mitteldeutschen Bundesländern 6.000 bis 8.000 Gehörlose vom Aus der übersetzten "Länderzeit" betroffen wären.

"Die Abschaltung der Gebärdensprach-Einblendung ist ein großer Verlust", sagt Erika Beyer, die Vorsitzende des Landesverbandes der Gehörlosen Thüringen. "Stellen Sie sich vor, wie es für hörende Menschen wäre, wenn der Ton der Fernsehsendungen für immer abgeschaltet wird." Jenseits solcher Argumente trauen die Gehörlosen auch aus so etwas wie emotionalen Gründen schon jetzt um die "Länderzeit": Dass eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt Nachrichten in die Gebärdensprache übersetzt, ist aus ihrer Sicht auch ein Zeichen gesellschaftlicher Anerkennung.

Sind Untertitel ein adäquater Ersatz?

Nicht zuletzt, weil das Thema so sensibel ist, will der MDR jeden Eindruck vermeiden, mit der Einstellung der "Länderzeit" nehme er die Belange Gehörlosen nicht erst. "Der MDR will genau wie die ARD die Anzahl der barrierefreien Angebote stetig steigern", sagt Jacobi. "Wir haben den Anspruch, die Empfangsmöglichkeiten für Gehörlose sogar zu verbessern." Deshalb strebe der Sender "so schnell als möglich" eine Untertitelung der Regionalmagazine "Thüringen-Journal", "Sachsenspiegel" und "Sachsen-Anhalt heute" an.

Doch aus Sicht vieler Gehörloser sind Untertitel kein Ersatz für die Gebärdensprachübersetzung. Deshalb fordern Rogge und Beyer ebenso wie andere vom MDR, auch künftig Regionalnachrichten mit Gebärdensprachübersetzung anzubieten. "Die Gebärdensprache ist eine eigenständige Sprache", sagt die taube Katrin Koschollek, die als Gebärdensprachdozentin in Erfurt arbeitet. "Für Gehörlose ist sie die Muttersprache." Auch wenn diese Menschen hierzulande aufgewachsen seien, so bleibe das Deutsche für sie eine Fremdsprache - wie Englisch oder Japanisch. Untertitel könnten für Gehörlose niemals das leisten, was ihre eigene Sprache leiste, sagt sie.

Rogge will in den kommenden Wochen erneut das Gespräch mit dem Sender suchen, um für die Gebärdensprachübersetzung zu werben. So, wie er es schon Mitte der 1990er Jahre getan hat. "Bundespräsident Gauck hat doch gerade erst gesagt, dass sich alle Menschen in Deutschland an der Gesellschaft beteiligen sollen", sagt er. "Also auch die Gehörlosen."(dapd)