Essen. Fünf Tage nach Reich-Ranickis Zurückweisung des Deutschen Fernsehpreises: Thomas und Marcel, inzwischen beim Du, sitzen sich in plüschigem Ambiente gegenüber und philosophieren über das Fernsehen zwischen Intellekt und Quote. Recht zueinander fanden sie nicht, spannend war es dennoch.

Klein beizugeben ist Marcel Reich-Ranickis Sache nicht, die Worte vom vergangenen Sonntag kamen ihm wohl aus tiefster Seele: „Nein, ich habe nichts zu bedauern, ich nehme nichts zurück.“ Die Fernsehpreis-Gala selbst sei „scheußlich, abscheulich“ gewesen, „falsch schlecht und übel.“

Über die Seichtigkeit der TV-Unterhaltung konnte er sich mit Gesprächspartner Thomas Gottschalk noch verständigen. Woran sich die Geister schieden, das war am Umgang mit dieser geteilten Wahrheit. Der „Wetten dass…?“-Moderator bezeichnete seine Pointen in ungewohnter Ernsthaftigkeit als „Herrenwitze“, verwies auf den telegenen Reiz seiner tief dekolletierten Besucherinnen und auf die unvermeidlichen Kritiken: „Da tritt mich das Feuilleton in die Tonne und die Klofrau jubelt mir zu.“ Aber, ach, die Einschaltquote…

Eine Lanze für den Anspruch

Der Intendant nach Gottschalk hat Angst um die Quote. Der Intendant nach Ranicki sollte besser das Gericht des Kritikers fürchten, weil er sich nicht „mehr Mühe“ gibt: „Die ganzen Intendanten müssen Angst haben.“ Zu seinem öffentlichen Ausbruch habe man ihm gratuliert, berichtet der Literaturpapst: „Man sagt eine Banalität, die eigentlich jeder sagen könnte, aber keiner hat den Mut.“ Aber wofür sei er denn eigentlich gelobt worden? „Es gibt doch keine Gestapo!“ Warum denn nur solle er nicht das Offensichtliche sagen, „ich versteh das nicht.“ Ranicki ist Moralist. Qualität ist fassbar, nun soll man sich nur noch „ein bisschen Mühe“ geben und schon hat man gute Unterhaltung. Was sind schon wirtschaftliche Zwänge gegenüber dem Schönen, Wahren, Guten?

Ganz anders Gottschalks Analyse. Für ihn, den alten Hasen der öffentlich-rechtlichen Fernsehlandschaft, den totgesagten Dauerjüngling, der sich zwar inzwischen vom jugendlichen Blond, nicht jedoch von der Lockenmähne verabschieden konnte, zählen Zahlen. Über sein Publikum macht er sich keine Illusionen: „Sie gehen, wenn es bildend wird, sie kommen, wenn es furchtbar wird.“ Dass er selbst seine Späßchen für Meterware hält, konnte, wer wollte, zwischen den Zeilen lesen. Aber Thomas Gottschalk ist Pragmatiker. Was hilft das schönste Programm, wenn keiner es sieht? Und ist es nicht auch die weltfremde „Arroganz der Elite“, die es gern anders hätte?

Brecht als Moderator

Es war sehr vieles zu hören von Zwängen und Kompromissen in 30 Minuten, von Quoten und Bildungsaufträgen. Angenehm war die unaufgeregte Gesprächssituation und der Eindruck wirklichen gegenseitigen Respekts. So war denn ein alter Mann zu bestaunen, der sich nicht scheut vor Sätzen wie „Brecht, wenn man den hätte, das wäre der Richtige fürs Fernsehen.“ Und auch Gottschalk über Gottschalk hatte seinen Reiz. Dem Fernsehen, der Illusionsmaschine par excellence, bei einer Diskussion über sich selber zuzusehen, war eine fesselnde Paradoxie und eine überfällige dazu.

Dennoch war es ein Gedankenaustausch, keine Diskussion. Dafür denken der Unterhalter und der Kritiker einfach in zu verschiedenen Dimensionen. Deshalb verfingen Gottschalks Bemühungen und Erklärungen nicht, blieb bei Reich-Ranicki eine gehörige Portion Unverständnis.

Die Diskussion im Film

Wer das seinerseits nicht versteht, dem sei ein Gang in die Videothek empfohlen. Denn, ob er es ahnt oder nicht, Marcel Reich-Ranicki hat einen Verbündeten in der Popkultur. Eine fiktive Gestalt zwar, aber das sollte ausgerechnet einer Geistesverwandtschaft zu einem Literatur-Narren wohl nicht im Wege stehen. Rainer heißt er und ist Trash-TV-Produzent.

Bevor ein Nahtod-Erlebnis ihn vom Saulus zum Paulus wandelt, produziert der genau jene Formate, bei denen es Ranicki kalt den Rücken herunter läuft. Durch Manipulation an Quotenmessgeräten gelingt es ihm und einer Gruppe sozialer Außenseiter dann, den Anspruch ins Programm zu heben. Es folgt ein intellektueller Frühling, denn, oh Wunder, zur Qualität gezwungen entdeckten die Deutschen ihren Hunger auf Bildung. Man greift gar zum Buch und diskutiert in der U-Bahn politische Theorie. Der Film heißt „Free Rainer“, letztes Jahr im Kino zu sehen. Untertitel: „Dein Fernseher lügt“. Übrigens scheitern die Aktivisten letztlich, der mediale Umsturz schlägt fehl.

Gottschalk wettet schon wieder

Etwas Ähnliches will jetzt Moderator Gottschalk ausprobieren, aus dem System heraus, von oben sozusagen. Den verschmähten Plastikpreis in der Hand wendet er sich an seinen Gesprächspartner: „Du nimmst den Preis, wenn ich es geschafft habe, mit einer bildenden Sendung Quote zu machen.“ Fast hört man ihn sagen: Topp, die Wette gilt! Gottschalk räumt der Idee wohl keine großen Chancen ein. Marcel Reich-Ranicki dagegen erwartet einen „Riesenerfolg“.

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