Essen. . Günther Jauchs Talksshow-Debüt im Ersten widmete sich den Anschlägen des 11. September. Dabei brach er mit dem Muster der politischen Dampfplauderei. Das Ergebnis war eine überraschend kontroverse Runde.

Seit einer Woche geben sich die bestbezahlten TV-Plauderer im Ersten die Klinke in die Hand. Die ARD hat sich zum Talk-Sender gewandelt. Eine brillante Idee, hätte sie nicht einen Haken: Die Gesprächskreise von Plasberg und Maischberger, Will und Beckmann fanden beinahe unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. So stand der Mann, der das Talk-Karussell in Bewegung setzte, bei seiner Premiere am Sonntagabend unter vielfachem Druck: Neuzugang Günther Jauch.

Der 55-Jährige, in staatstragendem Schwarz, startete ausgerechnet mit einem Jahrestagesthema. Es ging am 11. September wohl nicht anders, als den fatalen Angriff von El-Kaida-Terroristen vor zehn Jahren zu würdigen, der im Krieg in Afghanistan mündete – ein Dreh, der dem „Spiegel“-Titel von voriger Woche folgte.

Was hatte Jauch inhaltlich zu bieten? Er startete mit einem Einspieler, der seinen ersten Gast porträtierte: Marcy Borders, eine Frau, die den Anschlag auf das World Trade Center in New York überlebte. Der Film, begleitet von gefühligen Piano-Klängen, bereitete auf Jauchs Interview-Stil vor: „stern TV“ in öffentlich-rechtlichem Gewand. Jauch eröffnete das Gespräch in der Manier eines Therapeuten, der nach langer Zeit eine Klientin trifft: „Wie geht es Ihnen heute?“ Jauch arbeitete brav Karteikarten ab.

Keine amtierende Politprominenz

Keine Experimente. Programmatisch? Möglicherweise: Auf den schmalen Schultern des 55-Jährigen lastet die unausgesprochene Erwartung, der weithin graumäusigen ARD neuen Glanz zu verleihen. Der Mann, der lange Zeit das RTL-Gesicht schlechthin war, muss rechtfertigen, warum er die erfolgreiche Anne Will ohne Not vom besten Sendeplatz der Talker verdrängte: Sonntagabend, 21.45 Uhr, direkt nach dem immergrünen „Tatort“.

Wenn schon das Thema konventionell war, mussten Fragen und Antworten überraschend sein. Daher hatte Jauch das Standardmuster des Politgeplauders etwas aufgebrochen. Er verzichtete, immerhin, auf amtierende Polit-Prominenz. Stattdessen hatte er Ex-Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) eingeladen. Dazu eine bunte Mischung, die Spannung versprach. Springer-Chef Mathias Döpfner, Autorin Elke Heidenreich und Autor Jürgen Todenhöfer kamen drei Medien-Leute mit unterschiedlichem Hintergrund. Das Ergebnis war eine überraschend kontroverse Runde, in der vor allem Heidenreich ihre Chancen mit ihrer direkten Art nutzte.

Sie sah die Reaktion des damaligen US-Präsidenten George W. Bush und seines Verteidigungsministers Donald Rumsfield als unangemessen. Zudem vermisste sie in der Berichterstattung über den Anschlag und seine Folgen die Frage nach seiner Vorgeschichte. Wenig überraschend die Positionen des ehemaligen Verteidigungsministers Struck, der den Afghanistan-Einsatz rechtfertigte, sowie von Springer-Chef Döpfner, der dafür warb, den deutschen Truppen am Hindukush mehr moralische Unterstützung zukommen zu lassen.

Klinsmann nicht immer auf Ballhöhe

Als Jauch das Steinzeit-Leben des Taliban-Afghanistan mit einem Titelbild des US-Magazins „Time“ geißelte, das eine per Gerichtsurteil misshandelte Frau zeigte, kassierte er direkte Kritik des Afghanistan-Experten Todenhöfer. Er warf die Frage nach den afghanischen Opfers westlicher Militär-Einsätze auf.

Nine-Eleven-Überlebende Marcy Borders und Tanja Menz, Mutter eines toten Afghanistan-Soldaten, sollten die zuweilen hochfliegenden Analysen mit persönlichen Erlebnissen erden. Obendrein präsentierte Jauch einen Joker: Jürgen Klinsmann. Der amtierende Trainer der US-Fußballelf war allerdings nicht immer auf Ballhöhe.

Ob Jauch weiter „stern TV“, öffentlich-rechtliche Version, bietet, bleibt abzuwarten. Auch für einen Routinier wie Jauch gilt die berühmte 100-Tage-Frist, bevor die Frage beantwortet werden kann, ob der Zehn-Millionen-Mann verdient, was er erhält.