Essen. . Warum werden aus jungen Deutschen radikale Islamisten? Das fragte Reinhold Beckmann am Donnerstag in seiner Talkrunde. Die Antwort konnte er erwartungsgemäß nicht geben. Durch Gespräche mit betroffenen Eltern gelang trotzdem eine starke Sendung.
Es ist eine ehrgeizige Frage, die Beckmann in der Sendung gestern Abend gestellt hat: „Warum werden aus jungen Deutschen radikale Islamisten?“ Und auch hier schwingt wieder die große Frage mit, die viele seit 9/11 verfolgt: Warum werden Menschen überhaupt zu Extremisten, die Anschläge verüben?
Natürlich kann auch Beckmann diese Frage nicht beantworten. Er wäre der Erste. Doch er kann die Eltern fragen, deren Kinder vor kurzem unter Terrorismus-Verdacht festgenommen oder verurteilt wurden: Manfred Gelowicz, Vater von Fritz Gelowicz, dem Kopf der sogenannten „Sauerland-Gruppe“, der 2010 zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde. Und Marlies Baum, Mutter des 21-jährigen Robert Baum, der seit 15. Juli 2011 wegen Terrorgefahr im Londoner Hochsicherheitsgefängnis sitzt.
Und Beckmann kann die Experten fragen, Wissenschaftler und Journalisten. Und genau hier liegt die Stärke dieser Sendung. Sie war gar nicht darauf angelegt, dieses abstrakte Phänomen Terrorismus zu erklären.
Im Alltag abgeholt
Sie holt uns vielmehr in der Alltagswirklichkeit ab. „Was war Fritz für ein Junge?“, fragt Beckmann Manfred Gelowicz, der erstmals ausführlich davon berichtet, wie er seinen Sohn in den Jahren vor der Verhaftung erlebt hat. „Er war ein fröhlicher Junge, hat Football gespielt und war eigentlich ganz normal“, sagt dieser. Er habe gar nicht bemerkt, wie Fritz erstmals in Kontakt zum Terrorismus kam. Und auch nach der ersten Razzia kam höchstens der Verdacht auf, es könne „in eine konservative Richtung“ gehen.
Doch da hatte der Sohn längst ein Doppelleben begonnen. Ein Punkt, auf den Sozialforscher Martin Schäuble anspringt. Die Dschihadisten würden sich schnell zu einer Ersatzfamilie aufschwingen, lautet seine Analyse. Manfred Gelowicz hört dem Wissenschaftler gebannt zu, saugt jede Erklärung in sich auf. Er hat sich informiert, Bücher über die Wandlung von Menschen zum Extremismus gelesen. Ein Vater ringt um Erklärungen. Öffentlich. Er wolle die Öffentlichkeit teilhaben lassen, erklärt er zu Beginn der Sendung. Und trotzdem ringt er mit sich, ist den Tränen nah, als Beckmann ihn fragt, wie man mit der ganzen Situation umgehe.
Sohn war wie ausgewechselt
Marlies Baum hat etwas mehr von der Wandlung ihres Sohnes mitbekommen. Nach einer Ägypten-Reise sei dieser wie ausgewechselt gewesen. „Er war mir nicht mehr zugänglich, wie verwandelt“, sagt Baum. Nicht lange vorher war ihr erstmals ein Flyer mit islamistischen Parolen in die Hand gefallen. Auch hier sieht Sozialforscher Martin Schäuble die Dschihadisten als Ersatzfamilie, vermutet aber auch die Anziehungskraft „übersteigerter Männermodelle“, die den ehemaligen Außenseiter-Jungen angesprochen haben könnten.
„Doch wann findet der Schritt vom Radikalismus zum bewaffneten Kampf statt“, fragt Manfred Gelowicz in die Runde, die mittlerweile durch die Journalisten Souad Mekhennet und Peter Scholl-Latour erweitert ist. So richtig kann ihm keiner antworten. Und so hat der Vater mit der schweren Bürde Gelegenheit, sich den Respekt des Fernsehpublikums zu verdienen: „Die Eltern sind mit der Abwehr überfordert, der Staat ist gefordert“, sagt er. Und: „Wir brauchen eine klare Erziehung zur Demokratie.“