Essen. Um Mitternacht noch nichts vor? Wer unter Schlafstörungen leidet oder grundsätzlich erst am späten Morgen aufstehen darf oder muss, der kann die verbliebenen Perlen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens fischen.

„München”, das Spielberg-Drama über den Olympia-Anschlag 1972, flimmert heute ab 23.30 Uhr im Ersten über den Bildschirm. Bis zwei in der Früh'. Eine Wiederholung, gewiss, aber mit den wenigen Spielfilmpremieren, die RTL und Pro Sieben der Konkurrenz noch gelassen haben, gehen ARD und ZDF alles andere als pfleglich um. „Little Miss Sunshine”, eine mehrfach preisgekrönte Tragikomödie, an der Familien um 20.15 oder wenigstens 21 Uhr Spaß gehabt hätten, versenkte das Erste vor einer Woche: Start um 23.30 Uhr. Ebenso das Psychodrama „Tagebuch eines Skandals” eine Woche zuvor.

Nicht jeder besitzt einen Recorder, nicht jeder fahndet in der Zeitschrift: Sendungen nach 23 Uhr landen dort oft unbebildert im Kleingedruckten. Selbst leichtere Woody-Allen-Komödien, die auch ohne abgeschlossenes Hochschulstudium vergnüglich sind, verschwinden unentdeckt im Spätprogramm, „Das Mädchen mit dem Perlenohrring” feierte um 0 Uhr Fernsehpremiere, „Babel” mit Brad Pitt kommt am 3. September um 22.50 Uhr. Für wen?

Rosamunde Pilcher als Herrscherin des Sonntags

Umso bitterer, da nur Öffentlich-Rechtliche ungestörten Filmgenuss garantieren. Selbst wenn sie den Abspann mittlerweile genauso brutal abrasieren wie die Privaten: Bei RTL überbrücken Filmhappen doch nur die Pause zwischen zwei Werbeblöcken.

Wer mit Verantwortlichen spricht, erhält immer die selbe Antwort: Es gibt ein festes Programm-Schema, in dem nicht ohne weiteres Platz ist für einen Film. Aber ist es ein Naturgesetz, dass Rosamunde Pilcher zur Herrscherin des Sonntags wird? Müssen Hauptrollen mit Iris Berben, Hannelore Elsner oder Christine Neubauer besetzt werden, damit der heilige 20.15-Uhr-Termin freigegeben wird?

Angst vor einer schlappen Quote

Wer Spielfilme abschiebt, kennt bei Dokumentationen erst recht keine Gnade. „Zu schwierig, heißt es oft”, berichtet ein Mitglied der ARD-Programmkommission. Die Angst vor einer schlappen Quote treibe die Intendanten seit der Einführung des Privatfernsehens um. Es sei ein offenes Geheimnis, dass auch Druck aus der Politik komme. „Wenn euch keiner guckt, könnt ihr nicht die Gebühren erhöhen, ist der Tenor.” Der Bildungsauftrag sei dann kein Thema mehr. Auch ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut ließ sich unlängst in der „Zeit” mit dem Satz zitieren: „Die Kirche muss voll sein, niemand predigt gern vor leeren Bänken.”

Konsequenz: ARD und ZDF wagen nichts, vertrauen nicht mal ihren Stärken. Wie der seriösen Reportage, mit der man sich vom Krawall der Privaten abhebt. Deshalb erreicht Qualität nur einen Bruchteil der Zuschauer, die sie verdient hat. Wie der Film über das Schweigen der BMW-Familie Quandt zur NS-Zeit – verbannt auf 23.30 Uhr.