Berlin. .
Im Tatort wird für Simone Thomalla und Martin Wuttke ein Mord zum Pflegefall. Die Kommissare blicken hinter die Kulissen eines Pflegedienstes. Was sie dort über das Gesundheitswesen in Erfahrung bringen, ist alarmierend.
Die Menschen in Deutschland werden immer älter. Doch sie bleiben nicht ewig gesund. Die ambulante Pflege von Senioren ist inzwischen zu einem lukrativen Geschäft geworden. In ihrem achten „Tatort“, den die ARD am Sonntag um 20.15 Uhr ausstrahlt, werden die Leipziger Kommissare Eva Saalfeld und Andreas Keppler hinter die Kulissen eines privaten Pflegedienstes geführt. Was sie dort über das deutsche Gesundheitswesen in Erfahrung bringen, ist alarmierend.
Ausbeutung, Korruption, Erpressung und Nötigung
Die gewonnenen Erkenntnisse reichen von Ausbeutung bis Korruption sowie von Erpressung bis Nötigung. Ausschlaggebend für die Ermittlungen der von Simone Thomalla und Martin Wuttke gespielten Polizisten ist der Mord an einer jungen Altenpflegerin. In ihrem überfluteten Waschkeller wird Anna Kowski tot aufgefunden. Da ihr Patient, der schwer demenzkranke Karl Holst, einer der letzten war, der Anna lebend gesehen hat, suchen Saalfeld und Keppler dessen Familie auf. Dabei erfahren sie, dass die Ermordete am Vorabend ihres Todes eine heftige Auseinandersetzung mit ihrem Freund hatte. Doch der belastet wiederum Mike Breuker, Annas Pflegedienst-Chef, die Tat begangen zu haben. Als Elsa Kluge, eine weitere von Annas Patientinnen, nur wenig später in ihrer Wohnung tot aufgefunden wird, erhärtet sich der Verdacht, dass bei dem privaten Pflegedienst BreuCare24 tatsächlich einiges im Argen liegt.
Im neuen MDR-“Tatort“ wird unter dem Episodentitel „Heimwärts“ gehörig in den offenen Wunden des deutschen Pflegesystems gebohrt. Bereits bei ihrem ersten Besuch bei Martin Breuker, gespielt von Dirk Borchardt, stellen die Polizisten fest, unter was für rigiden Bedingungen seine Altenpfleger arbeiten müssen. Mindestens 20 Patienten haben sie innerhalb von sechs Stunden im Sinne der Gewinnmaximierung zu betreuen. Wer dieses Tempo nicht schafft, der fliegt gnadenlos raus. Zeit für menschliche Zuwendung bleibt da kaum.
Und da sich Anna Kowski offensichtlich weigerte, ihren Patienten die persönliche Zuwendung auszuschlagen, geriet sie ins Abseits. Ihre Arbeitsauffassung sei vielleicht moralisch korrekt, aber ein „betriebswirtschaftliches Disaster“ gewesen, sagt Breuker in einer bezeichnenden Szene. Diese Äußerung wirft kein gutes Licht auf seine Firma, die ausgerechnet mit dem Motto „Pflege ist Vertrauenssache“ für sich wirbt.
Seitenblick auf die gesellschaftlichen Aspekte des demografischen Wandels
Daneben wagt „Heimwärts“ bei der Lösung des Mordfalls einen Seitenblick auf die gesellschaftlichen Aspekte des demografischen Wandels. So geht es in dem TV-Krimi ebenso um die Frage, wie Angehörige mit ihren pflegebedürftigen Verwandten umgehen sollen. Die häusliche Pflege ist trotz Pflichtversicherung teuer. Die Überweisung in ein Seniorenheim kommt für die meisten Angehörigen wiederum nicht in Frage.
Familie Holst leidet stellvertretend für viele andere Familien unter anwachsenden Gewissensbissen. Mit dem demenzkranken Karl kommen sie immer schwerer zurecht, doch abschieben wollen sie ihn nicht. Also muss die minderjährige Tochter Svenja bei der Pflege mithelfen und dafür einige ihrer eigenen Zukunftspläne über Bord werfen.
Newcomerin Nina Gummich schafft es in ihrer Gastrolle vorzüglich, die emotionale Ambivalenz zwischen jugendlichem Rebellentum und familiärem Mitgefühl darzustellen. Am liebsten würde ihre Svenja alles hinschmeißen - aber nicht auf Kosten des kranken Großvaters. Bei allen abstrakten Begutachtungen des Pflegesystems steht dadurch schlussendlich wieder der Mensch im Vordergrund. Es wird exemplarisch aufgezeigt, welche Einzelschicksale sich hinter den individuellen Pflegefällen verbergen.
Doch auch die Pflegekräfte nimmt der „Tatort“ in Schutz. In einer Szene werden zwei hoffnungslos überforderte Altenpfleger einer staatlichen Krankenstation gezeigt. Obwohl der Ausschnitt nur sehr kurz ist, wird nachvollziehbar dargelegt, warum sie ihre Patienten lieber mit Medikamenten ruhigstellen, als sich ernsthaft mit ihnen auseinanderzusetzen. Sie können in ihrer beruflichen Situation gar nicht anders handeln.
Das wirft kein gutes Licht auf das staatliche Pflegesystem. Der Mord an Anna Kowski gerät bei alldem immer mehr zur Nebensache. „Heimwärts“ ist vielmehr ein ernüchternder Pflegefall, bei dem etliche Fragen offen im Raum stehen bleiben. Das Älterwerden wird einem durch diesen gesellschaftskritischen Krimi nicht gerade schmackhaft gemacht. Dafür regt er zum Diskutieren an. (ddp)