Essen. .

Was geschieht mit einer Durchschnittsfamilie, wenn der eigene Sohn zum Mörder wird? Der ARD-Fernsehfilm „Der andere Junge“ von Volker Einrauch geht dieser Frage auf den Grund. Der Stoff verspricht reichlich Dramatik – ein Versprechen, das nicht gehalten wird.

Die Geschichte des ARD-Films „Der andere Junge“ (Mittwoch, 20.15 Uhr) klingt interessant: Eine typische Durchschnittsfamilie in einem Hamburger Vorort findet sich in einer Extremsituation wieder. Vater Winnie Morell verkauft Fertighäuser, Mutter Evchen singt im Chor und Sohn Robert ist der unscheinbare Schüler, der von Klassenkameraden gehänselt wird. Befreundet ist das Trio mit den Wagners – ebenso Vater, Mutter, Sohn. Dass Robert dabei von Wagner-Sohn Paul in der Schule tyrannisiert wird, fällt den konservativen und auf Harmonie bedachten Eltern nicht auf. Bis an einem Nachmittag die Lage eskaliert und Robert Nachbarsjunge Paul mit dessen Waffe erschießt. Ein Skandal ist für Familie Morell undenkbar. Deshalb wird die Leiche beiseite geschafft und der Fall vertuscht.

Auch die Besetzung ist vielversprechend. Peter Lohmeyer spielt Vater Winnie Morell, Andrea Sawatzki Ehefrau Evchen. Auch Barbara Auer (Sylvie Wagner) und Christian Berkel (Jakob Wagner) sind mit dabei.

Charaktere haben keine Tiefe


Dass Volker Einrauchs Familiendrama trotzdem nicht überzeugen kann, ist der fehlenden Tiefe der Charaktere geschuldet. Der Zuschauer findet keinen Zugang zu den Morells und Wagners. Die Plattitüden, mit der „Der andere Junge“ spielt, nerven schnell: Mutter Evchen sucht ihr Heil im Singen. Und auf der Suche nach einem Bauernopfer, dem man die Tat in die Schuhe schieben kann, muss für Vater Morell Pauls unbeliebter Freund Kevin Krüger hinhalten - „denn der dealt ja mit Drogen“.

Die trauernden Eltern Sylvie (Barbara Auer) und Jakob Wagner (Christian Berkel). © NDR/Bernd Meiners.
Die trauernden Eltern Sylvie (Barbara Auer) und Jakob Wagner (Christian Berkel). © NDR/Bernd Meiners. © NDR/Bernd Meiners

Wie sehr muss sich ein Schüler wie Robert gedemütigt fühlen? Wie verhasst muss ihm Nachbarsjunge Paul sein, um diesen zu erschießen? Und wie sehr muss Robert sein schlechtes Gewissen plagen, den Eltern die Bürde überlassen zu haben, die Leiche des Getöteten fortzuschaffen? Auf Antworten auf diese Fragen warteten Zuschauer vergeblich.

Hinnerk Schönemann überzeugt


Robert, gespielt von Willi Gerk, wirkt extrem verschlossen, unfreundlich und unnahbar. Die kurzen, abgehackten Sätze, die das Drehbuch für den Außenseiter vorsieht, können ohnehin keinen Aufschluss über seine Gemütslage geben. Dass sich diese auch nicht im Verhalten des gedemütigten Schülers zeigt, ist Willi Gerks eintönigem Spiel geschuldet. Der Zuschauer findet keinen Zugang zum tragischen Helden der Geschichte.

Auch die anderen Charaktere bleiben farblos. Lediglich Hinnerk Schönemann als Kommissar Bender erweckt Sympathie und Neugierde, als er versucht, das Vertrauen des abweisenden Robert zu gewinnen. Allerdings bietet das Drehbuch zu wenig Raum, ihm eine größere Gewichtung als die des fragenden Polizisten zukommen zu lassen.

So bleibt am Ende nichts übrig als ein solide gemachter Unterhaltungsfilm mit reichlich verschenktem Potential.