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1992 war ein Jahr des Aufbruchs. Bill Clinton wurde Präsident der USA, Genscher amtsmüde und das Rotkehlchen Vogel des Jahres. Zugleich wurden im Auftrag von RTL in aller hemmungslosen Kreativität die ersten von über 200 Folgen einer elf Jahre alten australischen Seifenoper nachgedreht. Ihr deutscher Name war „Gute Zeiten, schlechte Zeiten”.
Zwar hatten der fernsehende Deutschen am 11. Mai 1992 nicht zum ersten Mal eine Ahnung davon bekommen, was es hieß, täglich das konzentrierte Herzeleid von Helden zu verfolgen, deren Leben immerzu ein Spielball des Schicksals war.
Begeistert hatten sie ja schon das Glück in Ketten am Beispiel der „Sklavin Isaura” bestaunt – das war ein Telenovela-Exportartikel aus Brasilien. Auch führte ihnen die ARD seit sieben Jahren am Beispiel der „Lindenstraße” jeden Sonntag überzeugend die seriendramatische Notwendigkeit von Flurwoche, Aids und obligaten Versöhnungsfest beim Griechen vor.
„Gute Zeiten, schlechte Zeiten”, von einem rasch wachsenden Fanclub „GZSZ” genannt, aber war anders. Es war und ist erzählte Dauerpubertät ohne Pickel – trotz ihrer Volljährigkeit mit dem heutigen 18. Geburtstag. GZSZ war Fernsehen, das mit wenigen Schauspielern auskam (die anderen waren fotogene Laien). Es war Fernsehen ohne Kamera. Es war Fernsehen, das auf Kulissen baute, die wirkten, als habe man eine Dreherlaubnis in einem Möbelhaus an der B224 erhalten. Woher also der Erfolg?
GZSZ trägt bis heute (längst schreibt man eigene Drehbücher, die Kamera ist besser geworden, die Musik sinnstiftender, bloß die Darsteller...), den ganzen Bauchladen des Menschlichen vor sich her. Da, wo der homo sapiens seine schwersten Kämpfe kämpft, da, wo er sich verliebt, abgewiesen wird, heimlich schwärmt, unheimlich traurig ist – da nimmt ihn GZSZ bei der Hand und sagt: „Schau, den anderen geht es auch so!”
Jeder Wochentag (außer er fällt auf Weihnachten) fußt 24 Minuten lang auf der Tragödie, dass Frauen immer den Falschen lieben („Jasmin kapiert auch bald, was fürn Scheißblender Du bist!“), Männer nicht zuhören („Aber Du hast doch gesagt, es wäre für immer!”) und Eltern („Du sollst herkommen, wenn Deine Mutter Dich ruft!”) ein Problem sind.
Die Geschichten blieben, das Personal wechselte wie die Kommunikation: In Folge eins kam dem Münzfernsprecher noch eine Schlüsselrolle zu. Gesellschaftliche Veränderungen spielen dagegen nur am Rande eine Rolle, es sei denn, es gibt ein neues iPhone. Auch brauchte der Einzug von Helden mit Migrationshintergrund seine Zeit. Doch er kam, freilich nicht frei von folkloristischen Textschüben. So sagte Ayla Özgül erst letzte Woche: „Feilschen liegt bei uns in der Familie!”
Wer GZSZ verließ, hatte es (von einer Handvoll Ausnahmen wie Jan Sosniok oder Yvonne Catterfeld) schwer. Nicht jeder hatte die Beziehungen eines Gerhard Schröder, der nach seinem kurzen Gastspiel erst Kanzler wurde und dann zu Gazprom ging. Bei anderen Serien-Ausstiegen verfuhr man mal erfinderisch (Todesvirus, durch eine Maus übertragen/vergiftet vom Sektenführer/ermordet vom Strumpfhosenmörder), mal routiniert (nach Bad Wiessee verzogen).
Eine wollte schon am Anfang die Brocken hinschmeißen. Elisabeth Meinhart drehte in Folge eins den Gashahn auf. Doch da sie nicht gestorben ist, spielt sie die Soap bis heute.