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Viele mögen sich noch erinnern, an Zeiten, als Liebe und Angst Hand in Hand gingen. Da war die Liebe, die Lust — und da war die Angst, schwanger zu werden. Doch plötzlich war die Pille da. Vor 50 Jahren wurde sie in den USA als Verhütungsmittel zugelassen. Ein Jahr später kam sie nach Deutschland.

Ganze Generationen von Frauen hatten diese Angst. Nicht erst, wenn die Regel ausblieb. Das Herzrasen setzte schon ein, wenn man sich nach dem Liebesakt die Schuhe zugebunden hatte.

Hoffentlich nicht schwanger – dieser Gedanke war der vertraute Begleiter verheirateter Frauen, junger Mädchen, ihrer Mütter und Großmütter, die wiederum ihrerseits die gleichen Sorgen hatten. Hinzuzufügen sei, dass auch Männer nach dem Liebesspiel längst nicht immer locker in den Schlaf fanden. Fracksausen war die Kehrseite von Romantik in Zeiten von Pettycoat und Pomade im Haar.

Die Liebe, ja sie war ein seltsames Spiel. Doch plötzlich war die Pille da. Vor fünfzig Jahren, am 9. Mai 1960, wurde sie in den USA als Verhütungsmittel freigegeben. Ein Jahr später kam sie mit dem sprechenden Namen „Anovlar“ zu uns. Anovlar, das heißt so viel wie „kein Eisprung“.

Die Pille als das Medium der sexuellen Befreiung

Dem Körper wurde durch Hormonbomben eine Dauer-Schwangerschaft vorgegaukelt. Eine Lüge, die er nicht ungestraft ließ: Erst spuckten die Testmäuse, dann die Frauen. Egal – man übergab sich. Egal – man hatte Pickel und einen Busen, der einem die Luft nahm. Aber keine Angst mehr, schwanger zu werden!

Der Bio-Chemiker Carl Djerassi war gerade 28 Jahre alt, als er mit der Erfindung der Antibaby-Pille Frauen vor Nervenzusammenbrüchen bewahrte und trennte, was lange zusammen gehörte: Sex und Fortpflanzung. Zwar kannte man den One-Night-Stand noch nicht dem Namen nach, doch dass die Pille das Medium für die sexuelle Befreiung war, ist historisch verbürgt. Der fröhliche Partnertausch war nicht nur ein beliebtes Spiel der sexy Sixties. nein, es war die Geburt der Freiheit der Frau. Sagt Alice Schwarzer, Emma-Chefin und Emanze der ersten Stunde: „Ich gehöre zu den Frauen, die die ersten Jahre noch ohne Pille erlebt hat: voller Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft. Und auch ich habe sie als ungeheure Befreiung empfunden. Die Pille ist ein Meilenstein in der Geschichte der Emanzipation der Frauen.“

Wobei, ganz nebenbei, der Mann von dieser Emanzipation enorm profitierte.

Die Pille hatte nicht nur riskante Nebenwirkungen wie Thrombose, die auch heute noch als gefürchtet gilt. Sie erhöht Herz-Kreislauferkrankungen und hatte zu den Nebenwirkungen vor allem Wirkungen: Rumschlafen war eine davon, die noch gesteigert wurde durch hemmungsloses Rumschlafen. „Die Pille automatisiert die Liebe und versaut die Moral“, sagte der Psychoanalytiker und Frauenarzt Eberhard Schaetzing.

Das Aus für das sexuelle Verlangen

In der Tat: Menschen, die nicht nur lustgesteuert durchs Leben zogen, begannen zu fragen: Ist das, was da in schmucken Schminkdöschen von Frauen in Handtaschen spazieren geführt wurde, Fortschritt oder Gefahr? Gefahr für das Leben? Machte die Pille Brustkrebs? Bewiesen wurde es nie. Für den Philosophen Max Horkheimer war die Pille nur Teufelszeug: Absolute Sicherheit führe zum „Tod der Erotik“.

Auch wenn viele – vor allem Männer – nichts vom Absterben der Lust verspüren: Eine Studie des renommierten Sexualmediziners Irin Goldstein von der Bostoner Universität bestätigte das, was manche Frau schon ahnte: Die Pille kann das weibliche Verlangen zerstören. Die fürs Liebesspiel nötigen Hormone würden zu stark gesenkt.

Trotzdem wird die Pille geliebt. Über 80 Millionen Frauen nehmen sie. Über 50 verschiedene Präparate stehen zur Verfügung. Noch keine davon ist die Pille für den Mann.