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Wenn die echten Stars fehlen, muss man den Freakfaktor erhöhen. Unter diesem Motto scheint die ganze fünfte Staffel von „Germany’s Next Topmodel“ zu stehen. Unter Heidi Klums Aufsicht werden die Klischees noch gelebt. Das Casting wird dabei zur Nebensache.

Eines muss man dieser Sendung lassen: Hier werden Klischees noch gelebt. Nirgendwo sonst sind die Diven divenhafter, die Tunten tuntiger und die Zicken zickiger. Wäre Germany’s Next Topmodel eine Fiktion, man müsste das Drehbuch wegen Überzeichnung der Figuren zurückgeben. Wer würde schon an die Existenz von Menschen glauben, die „Jimmy Coco“ heißen und ihr Geld (angeblich) damit verdienen, andere Leute mit brauner Farbe zu besprühen? „Celebrity Tanner“ nennt sich dieser bis dato eher unbekannte Beruf.

Ein Glück für Heidi Klum, dass es in L.A. keine Nachschubprobleme in Sachen Freaks gibt. Kaum hatte Jimmy Coco die Tür hinter sich zugezogen, kam nämlich schon die nächste Kandidatin aus Absurdistan rein: Kimora Lee Simmons, Ex-Laufsteg-Model und nun Vollzeit-Inkarnation des Prinzips Hollywood. Für eine Modenschau ihres Labels „Baby Phat“ wurden drei Models gesucht. Klum kündigte Simmons als Frau an, „die sagt, was sie denkt.“ Schnitt auf die Modemacherin, die am Rande des Laufstegs in schrillen HipHop-Tönen die Einpeitscherin gab.

„Werden laufen in verschiedene Hintergründe und machen ‚chica walk’“

Wer meint, das sei alles schon dick genug aufgetragen, kennt Jorge Gonzalez noch nicht, den permanent auf High Heels rumlaufenden „Runway Coach“ bei GNTM. Ihm verdanken wir Einblicke in die Geheimnisse des Laufstegs und kryptisch-schöne Sätze wie „Werden laufen in verschiedene Hintergründe und machen ‚chica walk’“ Dass der Mann eine gewisse Ähnlichkeit mit Anthony Kiedis von den Red Hot Chili Peppers hat, macht die Sache nicht weniger bizarr.

Ganz uninteressant ist der Fall von Jimmy Coco, Kimora Simmons und Jorge Gonzalez nicht. Immerhin kann man an diesen drei Personen ein interessantes Phänomen beobachten: Menschen, die derart in ihrem Klischee aufgegangen sind, dass sie sich selbst gar nicht mehr als Konstrukt wahrnehmen. Es ist, als hätte ihnen jemand in grauer Vorzeit eingebläut, in der Modebranche müsse man zwangsläufig neurotisch, „over the top“ oder sonstwie verhaltensauffällig sein.

Kandidatinnen bei bester Restgesundheit

Es spricht für eine Art Restgesundheit, dass die Kandidatinnen bei GNTM diesen Irrsinn (noch?) nicht als normal hinnehmen. „Die ist merkwürdig, irgendwie böse,“ sagt Modelanwärterin Hanna an einer Stelle über Kimora Simmons. Auch der exaltierte „Celebrity Tanner“ wird von den Models mehrfach als „durchgeknallt“ bezeichnet. Wobei es anscheinend eine Grenzlinie zwischen unheimlichen (Simmons) und lustigen (J. Coco, J. Gonzalez) Freaks gibt.

Trotzdem wird man den Eindruck nicht los, dass GNTM in Ermangelung von echten großen Namen immer mehr zum Kuriositätenkabinett wird. Dass die Sendung nie etwas mit Paris und Haute Couture zu tun hatte, war ohnehin klar. In den letzten Staffeln gab es aber immerhin ein paar Labels aus dem modischen Mittelbau, die die Kandidatinnen mit Aufträgen versorgten. Inzwischen muss Klum schon selbst zur Kamera greifen. Ziemlich bezeichnend.