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In der Talkrunde von Maybrit Illner ging es nur vordergründig um die neue niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan. Die Debatte driftete rasch zur Frage, warum die Integration muslimischer Migranten nicht recht glückt. Der Publizist Henryk M. Broder hatte dazu klare Ansichten.
Sind wir offen für eine muslimische Ministerin? So lautete das offizielle Thema der Talkrunde von Maybrit Illner am Donnerstagabend. Aber natürlich ging es sehr rasch nicht mehr wirklich um die neue niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan. Wie immer wenn die Begriffe türkisch oder muslimisch in Überschriften auftauchen, driftete der Abend rasch in die Generaldebatte, die seit geraumer Zeit bereits die Gesellschaft umtreibt: Warum hat die Mehrheitsgesellschaft so enorme Schwierigkeiten mit der Integration der Muslime – und mehr noch umgekehrt: Warum haben diese so enorme Schwierigkeiten, sich in der westlichen Gesellschaft einzugliedern?
Zur Einleitung allerdings musste der Zuschauer einige langatmige juristische Scharmützel um Özkans Äußerung, Kruzifixe gehörten nicht in die Schulen, ertragen. Özkan verband dies mit einer Forderung, auch Kopftücher generell zu verbannen. Und während CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt letzteres natürlich nachvollziehen kann, lehnte er die Verbannung des Kreuzes strikt ab, weil es für die „Werte dieser Gesellschaft“ sowie die kulturellen Traditionen des Landes stehe.
Der Staat ist aus Tradition nicht neutral
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) verwies dagegen auf das Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das die Neutralitätspflicht des Staates gegenüber den Religionen herausstrich. Heißt: kein Kreuz, keine Kippa, kein Kopftuch in Schulen. Warum das so nicht funktioniert, das erklärte der Publizist und Querdenker Henryk M. Broder und beendete diesen Teil der Debatte zum Glück mit dem Hinweis, der deutsche Staat habe eigentlich eine Neutralitätspflicht, er sei aber nicht neutral – aufgrund seiner Traditionen, „sonst müssten wir auch die Kirchensteuer, Weihnachten, Ostern und den Sonntag abschaffen“.
Dem Vorsitzenden des als konservativ-islamisch geltenden Islamrates, Ali Kizilkaya, warf er im geichen Atemzug vor, die Kruzifix-Position der Christsozialen für seine Zwecke zu nutzen. Kizilkaya hatte zuvor geäußert, er unterstütze die CSU-Position in der Kruzifix-Debatte. Im Gegenzug müsse aber auch das Tragen von Kopftüchern an Schulen generell erlaubt werden. Assistenz erhielt Broder sogleich von der Anwältin und Kritikerin der konservativen Islamvertreter, Seyran Ates: Der Rechtsstreit um das Religionsverständnis des Staates werde von bestimmten Kreisen der muslimischen Gemeinden als Deckmäntelchen genutzt, um ihr Religionsverständnis durchzusetzen – kurz: Es werde Toleranz eingeklagt, um intolerante Positionen juristisch abzusichern.
Ist der Islam reformierbar?
Ates und Kizilkaya, die sich seit Jahren in unverhohlener Gegnerschaft in der Öffentlichkeit attackieren, tauschten das übliche Repertoire aus: Ates wirft Kizilkaya vor, er spreche lediglich für eine Minderheit der Muslime in Deutschland – präge allerdings mit seiner Haltung das Bild des Islam in der Öffentlichkeit und versuche einer konservativen Glaubensrichtung eine Geltung zu verschaffen, die nicht mehr zeitgemäß ist. Kizilkaya wiederum unterstellt Ates im Gegenzug, sie könne nicht für die Gläubigen sprechen, weil sie sich nicht an Traditionen und Regeln halte. In ihrem Konflikt spiegelt sich auch das spannende Ringen um die Frage, ob und wie der Islam im Rahmen seiner Glaubensgrundsätze neuzeitlich interpretierbar und reformierbar ist – und was Frauen wie Ministerin Aygül Özkan dazu beitragen. Sie wurde an diesem Abend leider nur kurz angetippt.
Stattdessen verwies SPD-Politiker Wowereit darauf, dass es auch bei Juden und Christen fundamentalistische Strömungen gebe, dies sei kein Islam-typisches Problem. Broder verwies allerdings darauf, dass es Phänomene wie die sogenannten Ehrenmorde in orthodox-jüdischen oder christlichen Familien kaum gebe. Seyran Ates erinnerte zudem daran, dass nicht nur Deutschland Schwierigkeiten mit fundamental-islamischen Tendenzen habe, sondern ganz Europa. Das Problem liege tiefer. Broder fasste zusammen: „Jede aufgeklärte Religion ist Privatsache. Konfessionalität in der Öffentlichkeit ist desaströs“.
Verweigerungshaltung der Eingewanderten
Wo man Kizilkaya kaum widersprach, war sein Postulat, wonach das Recht auf Religionsausübung auch den Muslimen zugestanden werden muss – das Recht auf den Bau von Gotteshäusern. Wie weit der Glaube in die Öffentlichkeit reichen darf, ist der Punkt, an dem der Konsens üblicherweise endet: Kopftuch? Gebetsräume in Schulen und an Arbeitsplätzen? Wieviel Rücksicht muss der Alltag der Mehrheitsgesellschaft auf religiöse Riten nehmen? Müssen nicht vielmehr Riten den Gegebenheiten des Alltags angepasst werden? An diesen Konfliktlinien wird der Dauerstreit um den Islam geführt – auch an diesem Abend.
Gestritten wurde auch um die Frage, wie weit Immigranten an ihren Wurzeln festhalten können, ohne ihre Integration zu behindern. Kizilkaya betonte, Einwanderer hätten verschiedene Idenditäten: Sie seien von der Herkunft her Türken, Spanier, Griechen oder Portugiesen, zum Teil deutsche Staatsbürger und Moslems, Christen oder Juden. Dies könne die Mehrheitsgesellschaft aushalten. Hendryk M. Broder erinnerte an das Einwanderungsland NRW – wo es gelungen ist, hunderttausende zugewanderte Polen innerhalb kurzer Zeit zu einem integrativen Bestandteil der Bevölkerung zu machen. Er sagt: Noch nie wurde soviel getan für Immigranten wie heute – dass es nicht gelinge, sie zu integrieren, liege auch an der Verweigerungshaltung der Eingewanderten: „Migranten haben auch die Pflicht, sich zu integrieren“, so sein Postulat.