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Siegfried Lenz zählt zu den Großmeistern der Nachkriegsliteratur. Seine Werke gewinnen jüngst neue Aktualität durch Verfilmungen fürs Fernsehen. Die ARD zeigt eine Umsetzung des Romans „Die Auflehnung“. Jens Dirksen sprach mit ihm über Widerstand, Anstand und Aschenbecher.
Er ist höflicher als Günter Grass, er ist weniger selbstbezogen als Martin Walser – und doch gehört Siegfried Lenz zu den Großmeistern der Nachkriegsliteratur. In jüngster Zeit gewinnen seine Werke neue Aktualität durch Verfilmungen fürs Fernsehen. Heute Abend, 20.15 Uhr, zeigt die ARD eine Umsetzung seines Romans „Die Auflehnung“ in der Regie von Manfred Stelzer. Der Roman von 1994 kreist um den Forellenzüchter Frank Wittmann (in der Verfilmung gespielt von Jan Fedder), der sich durch Kormorane in seiner Existenz bedroht sieht und auf sie schießt, obwohl sie geschützt sind. Hinzu kommt sein Bruder Willy (André M. Hennicke), der seinen Beruf als Teekoster nicht mehr ausüben kann, weil seine Geschmacksnerven altersbedingt versagen. Die Stärke des Romans, die in den subtilen Charakterstudien besteht, verblasst in der Verfilmung, zumal es dem Konfliktstoff letztlich an existenzieller Schärfe fehlt. Und die Realität hat den Stoff längst überholt: Kormorane dürfen wieder geschossen werden, und heute protestieren Naturschützer dagegen, etwa durch die Ernennung des Kormorans zum „Vogel des Jahres“ durch den Naturschutzbund NABU.
Um über die Verfilmung zu sprechen, aber auch über Widerstand, Anstand und Aschenbecher, traf WAZ-Redakteur Jens Dirksen den Autor Siegfried Lenz in Hamburg in jenem Zimmer des Verlags Hoffmann & Campe, in dem Lenz 1951 seinen ersten Romanvertrag unterzeichnete
Siegfried Lenz: Stört es Sie, wenn ich rauche?
Ach was, das ist doch gemütlich!
Lenz: Und es ist guter schottischer Tabak...
Herr Lenz, haben Sie die Verfilmung ihrer „Auflehnung” schon gesehen?
Lenz: Ja, und ich bin im Prinzip einverstanden. Das Bild hat ja etwas ungeheuer Definitives, im Vergleich zur Sprache, die vieldeutiger ist und auslegungsbedürftig. Deshalb ist die grundlegende Voraussetzung für Verfilmungen, dass der Regisseur das Recht hat, seine Auffassung des Konflikts zu präsentieren.
Also stört es Sie nicht, wenn der Teeverkoster Willy Wittmann im Film helle Anzüge trägt statt gedecktes Blau wie im Buch?
Lenz: Ach was, das trägt doch nichts zur Beweisfähigkeit des Charakters und des Konflikts bei. Außerdem habe ich einzusehen gelernt, dass auch Beweise von einer anderen Seite her ihr Recht haben. Und ich habe die Freude gehabt, dass etliche meiner Werke verfilmt worden sind - da ist es unvermeidlich, dass es hier und da eine Variation gibt.
Haben Sie denn eine Lieblings-Verfilmung?
Lenz: Das wäre ungerecht gegenüber den Regisseuren. Aber ich muss gestehen, dass mir das „Feuerschiff” und die „Deutschstunde” besonders gut gefallen haben.
Sehen Sie selber fern?
Lenz: Ja, die dänischen Nachrichten um halb sieben und um neun und anschließend die deutschen Nachrichten. Und eine spaßige Serie über die Olsen-Bande im dänischen Fernsehen - auf welche variationsreiche Art das Verbrechen betrieben wird, das hab ich von der Olsen-Bande gelernt, auch wenn ich noch ein wenig davon entfernt bin, das in die Tat umzusetzen.
Und die Sportschau? Oder richtige Krimis?
Lenz: Dann müssen sie schon sehr gut sein. Normalerweise ist es ja so, dass es eine mehr oder minder ansehnliche Leiche gibt, und dann die Frage, die schon amerikanische Drehbuchschreiber langweilig fanden: Whodunnit, wer war’s denn? Deshalb beginnt die Suche nach dem Motiv - Neid, Eifersucht, Geld und was sonst noch in Frage kommt. Aber wenn man einiges davon gesehen hat, ist man vertraut mit allen Möglichkeiten, die es da gibt.
Nach dem „Mann im Strom”, dem „Feuerschiff” und jetzt der „Auflehnung” ist Jan Fedder ja fast schon den geborene Hauptdarsteller für Lenz-Verfilmungen. Könnten Sie ihm nicht gleich einen Roman auf den Leib schreiben?
Lenz: Noch nicht. Ich will nicht sagen, es ist zu befürchten, aber.... Nein, um der „geborene” Hauptdarsteller zu sein, ist er ja ein bisschen zu alt. Aber in meinem letzten Buch, der „Landesbühne”, da kommt ein Krimineller vor, Hannes, ein launiger, lustiger Kumpel, der mit einem Professor der Literatur in einer Zelle sitzt. Als ich es meiner Freundin Ulla zum ersten Mal vorgelesen habe, waren wir sicher, dass dieser Hannes sehr gut von Jan Fedder gespielt werden könnte.
Nur für die „Schweigeminute”, diese Liebesnovelle, mit der Sie uns vor zwei Jahren überrascht haben, kommt Jan Fedder nicht in Frage, der Held ist schließlich erst 18... Dabei wäre der Stoff ideal für eine Verfilmung.
Lenz: Die Rechte daran hat sich schon der Produzent Bernd Eichinger gesichert. Und wissen Sie was? Fünf Minuten, bevor die Verfilmung beginnen sollte, ist die Hauptdarstellerin schwanger geworden.
Fünf Minuten?
Lenz: Doch das gibt’s!
Der Held der „Schweigeminute” weigert sich, den Tod seiner Geliebten zu akzeptieren. Während der Arbeit an dem Buch ist ja ihre langjährige Ehefrau Lieselotte gestorben... Ist das auch ein Stück Trauerarbeit von Siegfried Lenz?
Lenz: Nicht explizit. Es ist hoffnungslos, sich gegen einen unerwarteten Tod aufzulehnen. Das war schon eine erhebliche Heimsuchung. Ich hatte eine Blockierung der Einbildungskraft.
Hatten Sie das Schreiben schon aufgegeben?
Lenz: Ich habe vorübergehend resigniert. Ulla hat geholfen, die Resignation zu überwinden.
Im Gegensatz zu vielen anderen Autoren scheinen Sie ihre Figuren aber grundsätzlich zu mögen.
Lenz: Ich sage Ihnen mal was: Die Liebe muss man zu allen seinen Figuren empfinden, selbst zu denen, die man zum Teufel wünscht, die man in der menschlichen Gesellschaft gar nicht vorfinden möchte. Sehen Sie, die Mutter von Siggi Jepsen in der „Deutschstunde” mit ihren widerlichen Ambitionen und Vorurteilen, die hätte ich im wirklichen Leben mit dem nassen Handtuch erschlagen. Aber ich brauchte sie als Personal des Malerhaushalts; irgendwie habe ich dann doch Liebe, eine Art von negativer Geneigtheit empfunden.
Sie mögen es, wenn sich jemand auflehnt, viele Ihrer Figuren tun das.
Lenz: Ja, dieser Eigensinn ist eine Haltung, die alle Menschen einnehmen sollten in dem Augenblick, in dem man Widerständen ausgesetzt ist. Deshalb mag ich ja auch Streichhölzer, die abbrechen, so wie dieses jetzt wieder... Im Ernst: Da ich es selbst in meinem kleinen Leben erfahren habe, empfinde ich Sympathie für diejenigen, die sich trotz aller Blockierungen aufmachen, um ihre Träume - nein, das ist schon zu viel: ihre Pläne Wirklichkeit werden zu lassen. Sie sehen ja, wozu ein allzu häufiger Gebrauch der Demuts-Haltung führt (weist auf die Halsmanschette, die ihm der Neurologe verordnet hat). Ich habe einfach zu oft genickt in letzter Zeit.
In der „Deutschstunde” haben Sie das Thema Pflicht gründlich abgehandelt. Aber das war 1968. Sehen Sie da heute manches anders?
Lenz: Ich würde nichts anders schreiben! Es kommt immer darauf an, Pflicht zu bewerten im Hinblick auf die Folgen. Wenn es durch die Pflicht zu abstrusen Folgen für Mitmenschen kommt, wenn sie zu überkommenem, blindem Gehorsam führt, dann taugt die Pflicht nichts.
In Ihren Erinnerungen schildern Sie, dass in den letzten Kriegstagen einer Ihrer Kameraden erschossen wurde, „weil er sich aufgelehnt hatte mit Worten” - ein Trauma für Sie?
Lenz: Ja. Es hat mich lange begleitet. Viele Dinge, die wir zum Haushalt unserer Erfahrung zählen, prüfen uns in ähnlichen Situationen. Sie stellen uns die Frage: Wie würdest Du heute handeln? Wir haben ein Erinnerungsgepäck zu tragen, geschrieben und halb geschrieben, geflüstert, manchmal nur zeichenhaft bewahrt.
Wie erklären Sie sich, das Günter Grass seines so spät ausgepackt hat?
Lenz: Sie wissen, dass wir befreundet sind? Nun, ich habe mich schon gefragt: Warum erst jetzt? Er hatte aber das Recht dazu. Die Last der Erinnerung ist irgendwann zu groß geworden. Man muss dieses verzögerte Bekenntnis auf dem Hintergrund eines langen, langen Lebens sehen.
Sie wollen mit Ihren Büchern nicht so sehr die Realität abbilden, sondern Entscheidungsfälle im Modell durchspielen. Aber viele Leser lieben am meisten Ihre Geschichten aus Suleyken - betrübt Sie das?
Lenz: Nein, überhaupt nicht. Ich habe immer das Recht des Lesers verteidigt, etwas auf sich zu beziehen oder es zurückzuweisen. Der Leser ist ein sehr unbekanntes Wesen, das man als Autor in seiner Jeweiligkeit erreicht, in verdammt schwierigen Situationen oder in völliger Gelassenheit, je nachdem. Ich wünsche mir eine gewisse Eigenständigkeit in der Lektüre.
Lesen Sie selbst heute anders? Lesen Sie Bücher zum zweiten Mal?
Lenz: Ja, Thomas Mann etwa, den ich sehr verehre und schätze?
Und wie anders lesen Sie? schneller?
Lenz: Nein. Vladimir Nabokov hat einmal gesagt: Bitte, lieber Leser, verstehen Sie mich nicht zu rasch. Ich sage auch: Widersprechen Sie ruhig, das ist eine hoch anzurechnende Qualität des Lesens. Ich lese aber manchmal auch hingerissen...
Das Wort ihres Freundes Helmut Schmidt wird heute geradezu kultisch verehrt. Erleben wir eine Renaissance der Weisheit in Zeiten des Jugendwahns?
Lenz: Ach, ich möchte am liebsten überall da sein, wo Helmut auch ist. Dem stellt man immer und überall sofort einen Aschenbecher hin... Und ich habe immer schon zwangsläufig Bewunderung empfunden für seine brillante analytische Intelligenz, seine überragende Bildung und etwas, das er selbst in den Mittelpunkt stellt: den Anstand.
Er lebt die Radikalität des Alters.
Lenz: Da sagen Sie etwas sehr Wahres. Es hat etwas Befreiendes, dieses Risikolose des Alters. Man rechnet einfach auf die Nachsicht des jüngeren Gegenübers, der sagt: Ach, es ist ein alter Mann, er hat es hinter sich. Er kann sich ein radikales Urteil bei der Besichtigung seines Lebens und seiner Erfahrungen leisten. Nachsicht und Unnachsichtigkeit, der alte Mensch darf beides haben.
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