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Der Tatort aus Kiel spielt diesmal in Finnland. Axel Milberg sieht als Kommissar Borowski in einem Mordfall erst den Wald vor lauter Bäumen nicht und gerät dann auch noch auf einen psychedelischen Trip. Und auch eine zarte Liebesgeschichte geht am Sonntag weiter.

In neun von zehn Szenen sieht Klaus Borowski aus wie das Kommissar gewordene Burn-Out-Syndrom. Er schlurft dann durchs Büro, lässt sie auf einen Stuhl plumpsen und zieht eine Kaffeetasse so beiläufig und widerwillig zu sich, als sei Kaffeetrinken eine lästige Pflicht wie morgens Aufstehen, Anziehen, Ein- und Ausatmen, solche Dinge eben. Dieser Klaus Borowski - wunderbar auf den Punkt gespielt von Axel Milberg - ist eben nicht der leidenschaftlichste und lebensfreudigste unter den Tatort-Kommissaren. Umso hellhöriger werden wir, wenn sein neuester Fall ausgerechnet mit „Tango für Borowski“ überschrieben ist.

„500 Kilometer und dann rechts“

Ein Mord führt den griesgrämigen Kieler Ermittler nicht nach Argentinien, sondern in das tangoverrückteste Land Europas: nach Finnland. Der 17-jährige Ralph Böttcher, ein Ex-Junkie, lebt dort in einem Camp, in dem jugendliche Straftäter resozialisiert werden. Ralph wird verdächtigt, Anni, ein Mädchen aus dem Nachbardorf, vergewaltigt und umgebracht zu haben. Borowski soll der Sache nachgehen, den Jungen verhören - und hat auf die Reise in den noch viel höheren Norden natürlich überhaupt keine Lust. Doch es hilft ja nichts.

Angekommen in Helsinki erfährt Borowski, dass sein Einsatzort nicht die Hauptstadt, sondern das Örtchen Ilomantsi an der russischen Grenze sein wird. Der finnische Kollege ist immerhin noch so nett, ihm den Weg dorthin zu erklären: „500 Kilometer und dann rechts“. Es beginnt ein Roadmovie in eine Gegend, die mit Provinz noch viel zu urban umschrieben ist. Kommissar Borowski geht in die Taiga, „into the wild“, dorthin, wo Europa so viel Wildnis hat wie nirgendwo sonst.

Weiße Nächte im dichten Wald

Der finnische Regisseur Hannu Salonen lässt in diesem Tatort viel Platz für wunderschöne Landschaftsbilder, Flüge über riesige Wälder und Seen, die immer mehr zum Sinnbild für einen Fall werden, in dem der Brummbär Borowski vor lauter Wald keine Bäume mehr sieht. Ausgelöst wird der Schlamassel durch eine kurze Unachtsamkeit. Als Borowski und der finnische Polizist Mikko Väisanen (Janne Hyytäinen) Ralph nach Helsinki überführen wollen, entwischt er den beiden Polizisten mitsamt Dienstwagen und Waffe. Fortan treiben Borowski neben dem Fall vor allem drei Fragen um: „Wie weit ist es noch in die Stadt?“, „Kommen hier irgendwann mal Autos?“ und „Wird es hier nie dunkel?“

So viel sei verraten: Es wird nicht dunkel. Borowski ist in den weißen Nächten, zur Mittsommernacht in den finnischen Wäldern unterwegs. Zu seiner chronischen Lustlosigkeit gesellt sich also Schlaflosigkeit, was ihn noch ein bisschen schlechter aussehen lässt. Der Fall indes scheint längst nicht so eindeutig zu sein wie es zu Anfang schien, denn Ralph und Anni waren ein Paar und so zirka jeder der eigenartigen Einwohner macht sich verdächtig. Wie in einsamen Wäldern, wo man sich unwillkürlich nach jedem Knacken umdreht, wird der Zuschauer durch den ausgesprochen ruhig, aber keinesfalls langweilig erzählten Film geführt.

Wie einst Mulder und Scully

Auch die Romanze zwischen Kommissar schlaflos und der Polizeipsychologin Frieda Jung (Maren Eggert) geht weiter. Jung reist Borwoski hinterher, um ihm bei den Ermittlungen zu unterstützen. Erst noch im „Mulder und Scully“-Modus, kommen sich die beiden bald wieder so nah, dass es zum ersten Mal in der Tatort-Geschichte soetwas wie einen Heiratsantrag in einem Ermittlerteam gibt - und Burowski bleibt in seinem Rahmen romantisch. Sie: „Wir könnten ja heiraten.“ Er: „Wen denn?“

Mit starken Nebenrollen - vor allem Florian Bartholomäi als Ralph und der Finne Antti Reini als Unsympath Vallu - ist der Tatort gut besetzt. Statt auf eine sozialkritische Botschaft setzt Drehbuchautor Clemens Murath ganz und gar auf eine dicht erzählte, spannende Geschichte und bizarre, teils psychedelische Bilder, etwa einen Tangopavillon mitten im Wald. Und da hat der Trip Borowskis, ausgelöst durch halluzinogene Pilze, noch gar nicht begonnen.

Tatort „Tango für Borowski“ am Ostersonntag um 20.15 Uhr, ARD und in der Mediathek.

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