Washington.

Otis McDonald ist alles andere als ein Waffennarr. Dass er nun, mit 76 Jahren, im Scheinwerferlicht steht, weil er gegen seine Heimatstadt Chicago zu Felde zieht und vor dem Obersten Gericht darauf klagt, eine Waffe besitzen zu dürfen, ist ihm sichtlich unangenehm. Gewinnt Otis, der achtfache Vater und mehrfache Großvater, vor dem Supreme Court auf dem Washingtoner Kapitolshügel, wird der alte Herr amerikanische Rechtsgeschichte schreiben.

Am gestrigen Dienstag begann die Verhandlung, die Amerikas Waffenlobby mit Hochspannung verfolgt, aber Kopfschmerzen in Städten und US-Bundesstaaten auslöst, die mit strengen Gesetzen den privaten Waffenbesitz faktisch untersagt haben.

„Die Stadt, der Landkreis, das ganze Land befindet sich im Krieg“, sagt Otis in seiner bedächtigen Art beim Rundgang durch sein Viertel in Chicagos South Side. Seit fast 40 Jahren lebt der heutige Rentner in diesem sozialen Brennpunkt, in dem sich einst auch US-Präsident Barack Obama seine Sporen als Sozialarbeiter verdiente.

Folgt man Otis, ist es inzwischen lebensgefährlich geworden, sich in der South Side auf die Straße zu wagen. Mehrfach wurde bei ihm eingebrochen. Auf der Straße pöbeln ihn die Drogendealer an, weil er die Nachbarn zur Wachsamkeit anhält. „Ich fühle mich schutzlos“, sagt Otis. Schutz verspricht er sich von einer Waffe im Haus. „Ich will eine Chance haben, mich wehren zu können“, sagt er. Wer in sein Haus einbrechen wolle, müsse wissen, was ihm blühen könne.

Seit fast 30 Jahren hat Chicago, einst die Stadt Al Capones, die Kriminalgeschichte schrieben, hohe Hürden vor dem legalen Waffenbesitz aufgebaut. Nur noch New York ist ähnlich rigide wie die Stadt des Windes am Michigan-See.

Weniger geschossen wird trotz des Banns in Chicago freilich nicht. Die Drogenbanden tragen ihre Revierkämpfe mit illegal erworbenen Schusswaffen aus. Und vor allem für Jugendliche ist Chicago zunehmend ein lebensgefährliches Pflaster. 36 Schüler wurden allein im letzten Schuljahr erschossen, Dutzende wurden angeschossen. Höher ist die traurige Bilanz sonst nirgendwo in den USA.

„Unsere junge Generation stirbt auf der Straße“, empört sich Diane Latiker, die ihr Haus Jugendlichen als Zuflucht anbietet, damit sie sich nicht auf der Straße herumtreiben müssen. „Die Gewalt traumatisiert unsere Kinder.

„Waffen gibt es schon mehr als genug“, sagt die 53-jährige Nachbarin aus der South Side, die eben so wie Bürgermeister Richard Daley dafür eintritt, den Waffen-Bann auf keinen Fall zu lockern.

Amerikas oberste Richter werden sich schwer tun. In diesem Verfahren geht es um die prinzipielle Frage, ob das verbriefte Grundrecht, Waffen besitzen und tragen zu dürfen, auch durch einzelstaatliche oder lokale Regelungen eingeschränkt werden darf.

Amerikas Waffenlobby sieht sich im Aufwind, seit die obersten Richter ausgerechnet den Bürgern der Hauptstadt Washington vor zwei Jahren das Recht einräumten, Waffen legal besitzen zu dürfen. Doch Washington war ein Sonderfall, weil die Stadt ihre eigenen Geschicke nicht selbst bestimmt, sondern am Gängelband der US-Regierung hängt.