Mannhein/Essen. .
Erleichterung, ein leises Lächeln liegt auf seinem Gesicht, als Jörg Kachelmann gegen 13.30 Uhr am Donnerstagmittag die Justizvollzugsanstalt Mannheim verlässt. Nach 132 Tagen in Untersuchungshaft ist er „wieder ein freier Mann”, wie sein Anwalt Reinhard Birkenstock erklärt. Der Wettermann selbst sagt nichts. Zum Abschied umarmt er einen JVA-Beamten. Das wirkt in-szeniert, genau wie die Wahl des Outfits: frisch rasiert, die Haare gewaschen und wohl sortiert, weißes T-Shirt, die Farbe der Unschuld.
Drei Stunden vorher hatte der dritte Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe „die umgehende Freilassung” des Häftlings H 08 1008 100 533 angeordnet. Völlig überraschend. Selbst seine Anwälte hatten in vertraulichen Gesprächen noch in der letzten Woche erklärt, dass sie, so kurz vor dem Prozessbeginn, der am 6. September starten soll, nicht damit rechnen, dass ihre Haftbeschwerde Erfolg haben werde.
Sie haben sich geirrt. Birkenstock, der seinen berühmten Mandanten am Donnerstag durch die Masse von wartenden Journalisten und Fans vor dem Gefängnis manövriert, erklärt später: „Der Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat einem Justizskandal Grenzen gesetzt. Ihm verdanken wir in diesem Verfahren die Auferstehung der Unschuldsvermutung und die Rückkehr der Rechtsstaatlichkeit.“
Die Begründung der Richter in Karlsruhe klingt wie ein Affront gegen die Staatsanwaltschaft im benachbarten Mannheim. Diese hatte Kachelmann am 20. März auf dem Flughafen Frankfurt festnehmen lassen, weil er seine langjährige Freundin Simone D. vergewaltigt und mit einem Messer bedroht haben soll. Am 17. Mai, noch bevor der Staatsanwaltschaft das Glaubwürdigkeitsgutachten der Bremer Psychologieprofessorin Luise Greuel vorlag, erhob sie Anklage. Ein Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls wurde am 1. Juli abgelehnt, einen Tag später wurde die Haftbeschwerde abgewiesen. Trotz sich widersprechender, zum Teil Kachelmann entlastender Gutachten. „In Köln“, sagte einer seiner Verteidiger damals, „wäre es bei dieser Akten- und Aussagelage nie zur Anklage gekommen.“
Zweifel an der Schuld Kachelmanns formulieren jetzt die Richter in Karlsruhe. Ein „dringender Tatverdacht“ bestehe nicht. Da Kachelmann seine Unschuld beteuert, seine ehemalige Freundin Simone D. als einzige Belastungszeugin auftrete, stehe „Aussage gegen Aussage“.
Den Anschuldigungen des vermeintlichen Opfers, das bereits während der polizeilichen Ermittlungen „unzutreffende Aussagen“ gemacht hatte, trauten die Richter nicht. Sie konnten bei Simone D. „Bestrafungs- und Falschbelastungsmotive nicht ausschließen“. Die hatte bereits die Gutachterin erkannt. „Kachelmann dürfe nicht gewinnen“, habe Simone während der Gespräche mit Greuel wiederholt gesagt. Die Psychologin sieht bei der einst in den Wetterfrosch blind Verliebten Anhaltspunkte dafür, dass sie den „Verräter“ Kachelmann bestrafen möchte. Elf Jahre hat Simone D. auf eine Zukunft mit dem 52-Jährigen gehofft. Das mag unrealistisch klingen. Schließlich hat sie nie mit Kachelmann zusammengelebt, kennt weder die Adresse seiner Schweizer Firma, noch weiß sie, ob der Mann, der ihr zwar täglich SMS schickte, aber ansonsten nur alle paar Wochen bei ihr vorbeischaute, eine Wohnung in Deutschland hat. Kurz vor dem Abend der vermeintlichen Vergewaltigung bricht ihre Scheinwelt endgültig zusammen. Sie erfährt, dass sie eine von zahlreichen Frauen im Leben des Medienmannes ist. Austauschbar.
Keine Fluchtgefahr
Anders als die Staatsanwaltschaft Mannheim mögen sich die Richter in Karlsruhe auch bei den Verletzungen von Simone D., die durch die Vergewaltigung verursacht sein sollen, nicht festlegen. „Neben einer Fremdbeibringung könne auch eine Selbstbeibringung nicht ausgeschlossen werden“.
Fluchtgefahr des Schweizer Bürgers spielt keine Rolle. Wird der „dringende Tatverdacht“ nicht mehr vorausgesetzt, entfällt „Fluchtgefahr“ als Grund für die Untersuchungshaft. Kachelmann kann, wenn er denn will, in die Schweiz reisen. Sein Heimatland würde ihn zwar nach offizieller Darstellung nicht ausliefern – dennoch wird Kachelmann zum Prozess in Mannheim erscheinen, wann immer der sein wird. Er „muss eine rechtsstaatliche Hauptverhandlung nicht fürchten“, erklärte Birkenstock und fügt poetisch hinzu: „Wahrheit, Wissenschaft und Recht stehen auf unserer Seite.“