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Das Fernsehen ist immer noch für Überraschungen gut: Mit „Unser Star für Oslo“ präsentierten ProSieben und die ARD ein Casting-Format jenseits von Bohlen, Tränen und Peinlichkeiten. Auf dass es beim „Eurovision Song Contest“ endlich wieder heißt: „Germany, 12 points“.

Nach DSDS, SSDSDSSWEMUGABRTLAD und GNTM nun USFO. Nein, nach den kolossalen Fehlschlägen der Vergangenheit sollen keine ausgebrannten Schlagerbarden oder gefallene Engel mehr ran beim ESC, dem „Eurovision Song Contest“, der einmal „Grand Prix Eurovision de la Chanson“ hieß, damals, als es noch besser lief für deutsche Goldkehlchen.

Junge, unverbrauchte Talente mussten her – also eine Casting-Show, eine Prise Sangeswettstreit-Erfahrung – also Stefan Raab und natürlich Niveau – also bloß kein Bohlen. Und so reichten sich ProSieben und die ARD erstmalig die Hand, Privatsender und öffentlich-rechtliche Anstalten schaukelten das Kind gemeinsam und brachten am Dienstagabend ihr neues Format über die Bühne: „Unser Star für Oslo“.

Fernsehen für Überraschungen gut

Das Fernsehen ist also immer noch für Überraschungen gut. Das überrascht – zumal beim Privatsender. Eine kleine Oase tat sich an diesem Dienstagabend auf, als 1Live-Moderatorin Sabine Heinrich mit „Schlag den Raab“-Gastgeber Matthias Opdenhövel auf die Bühne trabte. Da war das obligatorische Moderatoren-Duo, da war das „Kompetenzteam“, bestehend aus Jury-Präsident Raab und der Austauschbesetzung Westernhagen und Catterfeld, da war die kreischende Teenagerhorde, auch Publikum genannt – also alles wie gehabt? Weit gefehlt!

Von Qualität, Niveau und Talent wurde zwar gefaselt, bis einem die Ohren weh taten, dann versuchte diese Jury auch noch penetrant mit Begriffen wie „Timbre“, „Falsettstimmen“ und „Intonation“ die eigene Daseinsberechtigung zu erklären, und die ewigen Abgrenzungsversuche zu DSDS nervten mitunter gewaltig: „Ich bin eigentlich kein Freund von Casting-Shows!“, „Ich habe diese Kinder doch alle lieb!“, „Ich hoffe, niemanden beleidigt zu haben!“ – ja Herr Müller Westernhangen, wir sind Ihnen nicht böse, ganz ehrlich nicht.

Musik statt Sozialdramen

Doch es wurde gesungen, nur gesungen, es wurde kritisiert, nicht beleidigt, es gab Musik zu hören, keine Sozialdramen – geht doch! All´ die Pleiten, das Pech und die Pannen hatte man ausgelagert, übrig blieben 20 junge Menschen mit einem gewissem Gesangstalent und so gab es an diesem Abend auf ProSieben keine Blamagen, höchstens Patzer.

Aber ein Privatsender wäre seines Namens nicht würdig, würde er nicht auch ein wenig auf die Quote schielen - und die begehrten14- bis 49-Jährigen mögen`s nun einmal jung. Und so wurde es der Abend der Mittzwanziger, 18- bis 31-jährige Menschen mit Ambitionen stürmten die Bühne, neben der Stimme stimmte dann auch das Aussehen, irgendwie schade, weil irgendwie langweilig.

Von Boygroup bis Jewel-Verschnitt

Ein wenig unterschiedlich waren sie dann doch, die ersten 10 von 20 potentiellen Stimmen für Deutschland. Da war der hübsche, aber ein wenig schmalzige Benjamin Peters, der problemlos in jeder Boygroup der 90er hätte untertauchen können, aber leider vom Publikum via Telefon und SMS aussortiert wurde. Dann der elfenhafte Jewel-Verschnitt Kerstin Freking, die so unschuldig wie Nicole mit Zopf um den Kopf „My immortal“ von Evanescence ganz rührend zum Besten gab – fehlten nur noch Faltenrock und weiße Wandergitarre.

Nicht zu vergessen der singende Schlagzeuger Michael Kraus mit Glücksbringer-Mütze, Powerfrau Meri Voskanian, mit schönen Schuhen, aber barfuß – und Lena Meyer-Landrut. Das 18-jährige Fräuleinwunder aus Hannover haute mit der völlig unbekannten Nummer „My Same“ von Adele gar den Raab vom Hocker. Sie bekam von einem Marius Müller-Westernhagen wahren „Star-Appeal“ bescheinigt – „Die Menschen werden Dich lieben!“ Yvonne Catterfelds Meinung muss erst gar nicht wiederholt werden, schloss sie sich doch stets ihren Vorrednern an. Keine Frage, Lena kam weiter. Verdient. Denn es war eine Freude ihr zuzusehen, wie sie unbeschwert jauchzend über die Bühne hüpfte, das war Unterhaltung genug, da brauchte es keine Homestory nebst bewegtem Schicksal mehr, es stimmte einfach.

Unschuldiges Casting-Format

Vielleicht haben wir dieses kleine „Fernsehwunder“ ja der Narrenfreiheit eines Stefan Raab zu verdanken, vielleicht der Liaison mit der ARD. So unschuldig jedenfalls kam lange kein Casting-Format mehr daher, doch, wie Eurovision-Veteran Raab nicht müde wurde zu betonen, hier geht es ja auch um eine „nationale Aufgabe“, um „die deutsche Nationalmannschaft“ in Sachen Gesang, um „Nachhaltigkeit“. „Ein Lied für…“ hieß sie einst, die Vorauswahlshow für den „Grand Prix Eurovision de la Chanson“. Nun gibt es acht davon, eine ganze Serie, wöchentliches Vorsingen eben – sechsmal bei ProSieben, zweimal bei der ARD: Finale inklusive. Dann ist er hoffentlich endlich gefunden, „Unser Star für Oslo“. Fehlt nur noch der passende Titel, doch auch der soll demokratisch ermittelt werden: via Publikum. Bleibt nur zu hoffen, dass das nicht weg zappt, gen Starmaschine Bohlen. Denn auch das Fernsehen funktioniert nun einmal nach dem Mehrheitsprinzip, ganz demokratisch.

Die nächste Folge von „Unser Star für Oslo“ wird am Dienstag, 9. Februar, um 20.15 Uhr auf ProSieben ausgestrahlt. In der Jury sitzen neben Stefan Raab Sängerin Sarah Connor und Alt-Rocker Peter Maffay.