Münster. .
Was hat Münster, was die Revier-Städte nicht haben? Klare Antwort: nicht weniger als zwei Krimi-Reihen. Neben dem „Tatort” im Ersten macht „Wilsberg” im Zweiten bösen Buben und schlimmen Damen das Leben schwer - und er zeigt, wie die Folge „Oh du tödliche” (Montag, ZDF, 20.15 Uhr) beweist überhaupt keine Verschleißerscheinungen.
Im Gegenteil: Bei Drehbuchautor Eckehard Ziedrich trägt der vorweihnachtliche Stress kriminelle Züge. Er liefert eine raffiniert montierte Geschichte voller schräger Einfälle, klamaukig ist sie nie. Sie macht bis zur letzten Einstellung genauso viel Freude wie Schadenfreude. Auch „Oh du fröhliche” hätte als Episodentitel trefflich gepasst.
Nur für Kommissar Overbeck (Roland Jankowsky) nicht. Er gibt, wie stets in der 1995 gestarteten Reihe, den Watschenmann. Overbeck muss an den Feiertagen die Ordnung in der beschaulichen Uni-Stadt hüten und glaubt, dass Fest des Friedens missrate auf der Wache zum Fest der Langeweile. Es kommt, natürlich, anders.
Gesetz der Schwerkraft
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Anders kommt es auch für Kommissarin Springer (Rita Russek). Overbecks sympathische Vorgesetzte muss bei der Zubereitung des Enten-Menüs für die befreundete Wilsberg-Clique erleben, dass auch Gläser mit Orangen-Marmelade dem Gesetz der Schwerkraft gehorchen -- und, schlimmer noch, wie schwer es ist, am Heiligen Abend Ersatz zu beschaffen. Was ihr noch mehr die Stimmung verhagelt: Overbeck trickst sich selbst aus, und die Chefin muss ungewollt ermitteln.
Ekki Talkötter (Oliver Korritke) erlebt derweil, dass eine Weihnachtsfeier mit seiner Truppe vom Finanzamt feucht beginnt, aber nicht fröhlich endet. Diese Erfahrung teilt der Amtsleiter (Vittorio Alfieri), der mit seiner barocken Sekretärin (Tatjana Clusing) turtelt. Dass sie Zeugen eines Verbrechens werden, verdirbt ihnen buchstäblich die Lust. Münsters oberster Steuer-Mann fürchtet nämlich, eine Anzeige bei der Polizei könnte seine Affäre öffentlich machen. Eine undurchsichtige Rolle spielt dabei der „Blinde Egon” (abgezockt: Torsten Michaelis) aus der Telefonzentrale.
Nur für Knautsch-Gesicht Wilsberg (Leonard Lansink) bleibt der Heilige Abend so, wie er anfing: höllisch hektisch. Sein hastig erstandener Weihnachtsbaum führt auf dem Dach seines Autos ein derart munteres Eigenleben, dass die Fichte einen Fernsehpreis für die beste Nebenrolle verdient hätte.
Anti-Helden aus Münster
Bliebe noch Alex (Ina Paule Klink). Die Jung-Juristin will gerade bei einem Juwelier ein Geschenk für die befreundete Kommissarin Springer erstehen, als der Laden überfallen wird. Die eigentliche Krimi-Handlung wartet mit einer rauschebärtigen Weihnachtsfrau auf der Herrentoilette auf, einer vorgeblichen Leiche im Kofferraum und einer Entführungsgeschichte, die nicht ganz so überzeugend endet, wie sie angefangen hat.
Aber das sei dem Team verziehen, zumal Regisseur Hans-Günther Bücking sein Schauspieler-Ensemble zu einer Spitzenleistung motiviert hat. Dass die ZDF-Reihe bereits seit 14 Jahren läuft, erweist sich als Qualitätsmerkmal: Lansink & Co. könnten inzwischen mit verbundenen Augen spielen; sie verstehen sich blind.
Und am Schluss des verdaulichen Krimis können sich die Anti-Helden aus Münster nicht nur satt sehen, sondern auch satt essen. Und erwartet sie eine schöne Bescherung.